Was hätte dieser Ort sein können? – Die Proteste gegen den Abriss des Henriette-Goldschmidt-Hauses 1993 – 2000

Rückblick

Übrigens: Das Henriette-Goldschmidt-Haus ist am 16./17. März [sic!] endgültig vernichtet worden. (Dagmar Klein hatte in der „Gießender Allgemeinen“ vorher auch noch einen guten Artikel veröffentlicht, so recht aus frauensicht) Es ist schon alles planiert…. Nun erinnern nur noch unsere „Geschichten“ und hunderte Fotos daran. Es wurden auch ein paar Ziegelsteine und „Lehm“ von Frauen aufbewahrt. Der Rest eines 7jährigen Kampfes.[1]

Diese Worte schrieb Johanna Ludwig, Initiatorin und Mitbegründerin der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (LOPG) am 30.3.2000 in einem Brief an eine Freundin.

Knapp eine Woche zuvor, am Wochenende des 18. März, war in Leipzig das geschichtsträchtige Henriette-Goldschmidt-Haus in der Friedrich-Ebert-Straße 16 abgerissen worden. Mit vielen anderen zusammen hatte sich Johanna Ludwig sieben Jahre lang für den Erhalt des Hauses eingesetzt. Dabei haben sie die Geschichte des Hauses aufgearbeitet, seinen Verkauf skandalisiert und sich mit vielfältigen Aktionen dafür eingesetzt hier Frauenvereine unterzubringen. Anlässlich des 25-Jährigen Abrisses schaut dieser Blogbeitrag auf die damaligen Ereignisse.


 

Eine Stiftung für die Leipziger Frauen: Die Geschichte und der Verkauf des Henriette-Goldschmidt-Hauses

Das Henriette-Goldschmidt-Haus beherbergte im 19. Jahrhundert einen Kindergarten und eine Ausbildungsstätte für Erzieherinnen. Auch dessen Gründerin, die Fröbel-Pädagogin Henriette Goldschmidt lebte bis zu ihrem Tod 1920 dort. Nach ihrem Tod gab der Stifter des Hauses, Henri Hinrichsen, diesem ihren Namen. Mit anderen Häusern, wie der Henriette-Goldschmidt-Schule, war es Teil einer Sammelstiftung, die Hinrichsen 1921 der Stadt Leipzig treuhänderisch übergab. Er verfügte als Stiftungszweck, dass diese der Frauenbildung zukommen.[2]

Trotzdem wurde das Haus 1991 vom Stadtkämmerer Leipzigs für einen extrem günstigen Preis veräußert[3] und knapp zwei Jahre später von der Käuferin für ein Vielfaches weiterverkauft.[4] Dieser Verkauf wurde bekannt, als das Gleichstellungsreferat der Stadt 1993 eine Nutzung des Hauses für Leipziger Frauenvereine vorschlug.[5]


Nach Bekanntwerden des Verkaufs

Am 22.9.1993 gibt es eine Presseerklärung des „FrauenAktionsBündnis“, in der der Verkauf kritisiert wird. Laut der Erklärung hatte sich vor dem Verkauf des Hauses eine Henriette-Goldschmidt-Stiftung mit einem Nutzungskonzept um das Haus beworben.[6] Das Bekanntwerden des Verkaufs löst in den Frauenblättern sowie im Leipziger Stadtrat eine Diskussion über die Nutzung des Hauses im Konkreten, aber auch über das öffentliche Eigentum im Allgemeinen aus.[7] Henrike Dietze fasste die Punkte in einer Rede im Stadtrat noch einmal zusammen: So sei das Haus als Teil einer Sammelstiftung nach der Vereinigung dem Stadtkämmerer Peter Kaminski unterstellt gewesen, der es entgegen seinem ursprünglichen Stiftungszweck günstig verkauft hatte. Sie forderte die Stadt dazu auf, den Verkauf rückgängig zu machen und es wieder der Nutzung gemäß Stiftungszweck zuzuführen.[8]


Bündnisse und Ideen

Dass für den Erhalt des Hauses Bündnisse geknüpft wurden und Ideen zwischen verschiedenen Vereinen gesammelt wurden, zeigt auch dieser Auszug aus einem Brief von Susanne Scharff, der Gründerin der MONAliesA und Mitbegründerin der LOPG, an Johanna Ludwig, datiert auf den 4.12.1994:

„Ich habe lange mit S. gesprochen. Das Ergebnis ist eine Idee, im Februar einen Abend zu gestalten in der Frauenbibliothek zum Thema „Henriette-Goldschmidt-Haus und seine zukünftigen Nutzerinnen“. Ich bin fasziniert von Deinem Einsatz, Frauen zu gewinnen, um das Haus vor dem Abriß zu bewahren. […] Wir sollten aber auch nicht nur gegen etwas kämpfen, sondern auch Wissen, wofür wir es tun. Deshalb der Vorschlag, alle interessierten Frauen (projekte) einzuladen zu einem Seminar / Abend / Workshop […] in dem geklärt wird, welche Frauen (projekte) warum und mit welchen Intentionen das Haus wiederbeleben wollen. Natürlich steht zuerst der Wiederaufbau. […] Finanzen werden vorerst bestimmende Thema darstellen. Trotzdem sollen Visionen Platz haben.“[13]

Eine Vielzahl an Bildern, Flyern und Schriftwechseln, die im Louise-Otto-Peters-Archiv bewahrt werden, zeugen von unterschiedlichen Aktionen und einem jahrelangen Kampf um den Erhalt und die Nutzung des Hauses.



Abriss des Hauses

Alldem zum Trotz wird das Henriette-Goldschmidt-Haus am 18. und 19. März 2000 abgerissen.

Seit 2018 gibt es einen Neubau, der den Namen und die Lettern Henriette-Goldschmidt-Haus trägt, aber ein reines Wohnhaus ist.
Im Flur des Hauses hängt eine Gedenktafel, auf der allerdings ein falsches Jahr steht und die Bedeutung Henriette Goldschmidts' für die Frauenbewegung unerwähnt bleibt.


Erinnerungen an das 'Henriette-Goldschmidt-Haus'

10 Jahre nach dem Abriss, am 18. März 2010 initiierte die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft eine Gedenkkundgebung. Godula Kosack hielt damals einen Redebeitrag, der hier nachzulesen ist: 10 Jahre nach dem Abriss des Henriette-Goldschmidt-Hauses.

2022 veröffentlichte die LiZ einen Artikel: Ein verlorener Ort Leipziger Frauengeschichte: Vor 22 Jahren wurde das Henriette-Goldschmidt-Haus abgerissen.

Die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. veröffentlichte 2022 einen Instagram-Post anlässlich des Jahrestages des Abrisses:

Das Foto „Räuberleiter am Henriette-Goldschmidt-Haus“ (Signatur: V.4.5-07_237) wurde bisher zweimal aufgegriffen:

2023 war es Teil des künstlerischen Projekts We will not be moved von Alexis Blake. Dabei war es Beispiel für Frauenprotest in Deutschland zwischen 1920 – 2000. Als Teil einer Plakatserie war es eines von fünf Bildern, die im Juni 2023 auf Werbetafeln in Leipzig zu sehen waren. 

2024 reproduzierte Zweifel, das Hamburger Studio für kritisches Gestalten, das Foto als Risodruck und verwendete es auch für den Kalender 2025.

Die Aufnahme, die in diesem Beitrag weiter oben auch im Original zu sehen ist, ist vom 1. Juli 1996 und zeigt Susanne Scharff, wie sie Godula Kosack dabei hilft zu einem Fenster des Hauses zu klettern.

Im Jahr 2025 findet am Mittwoch, den 19. März um 17 Uhr eine Gedenkveranstaltung mit Kundgebung am „Neubau“ des Hauses statt.


Anmerkungen

[1] Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Schriftwechsel 2000 Bd. 1, V.2.1-09.

[2] Vgl. Peter, Laura (2024): Kampf für den Erhalt des ‚Henriette-Goldschmidt-Hauses‘ (1993‒2000), in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/kampf-fuer-den-erhalt-des-henriette-goldschmidt-hauses-1993-2000, zuletzt besucht am: 10.03.2025.

[3] Vgl. Müller, Thomas: Gestiftetes Henriette-Goldschmidt-Haus: Die Stadt ist damit stiften gegangen. Städtische Stiftungs-Verwalter haben das Gebäude 1991 weit unter Wert verkauft, in: Leipziger Volkszeitung vom 08.09.993, S. 13.

[4] Vgl. Peter, Laura (2024): Kampf für den Erhalt des ‚Henriette-Goldschmidt-Hauses‘ (1993‒2000), in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/kampf-fuer-den-erhalt-des-henriette-goldschmidt-hauses-1993-2000, zuletzt besucht am: 10.03.2025.

[5] Vgl. Seyde, Petra: … UND AUS DAS HAUS … ?, in: Frauenblätter III/93, Hrsg.: Fraueninitiative Leipzig, Unabhängiger Frauenverband e.V., Landesverband Sachsen, S. 4f.

[6] Vgl. Presseerklärung FrauenAktionsBündnis, in: Frauenblätter III/93, Hrsg.: Fraueninitiative Leipzig, Unabhängiger Frauenverband e.V., Landesverband Sachsen, S. 6.

[7] Vgl. Seyde, Petra: … UND AUS DAS HAUS … ?, in: Frauenblätter III/93, Hrsg.: Fraueninitiative Leipzig, Unabhängiger Frauenverband e.V., Landesverband Sachsen, S. 4f. und Ziegler, Marion (UFV-Stadtverordnete): Wem hat das öffentliche Eigentum zu dienen?, in: Frauenblätter III/93, Hrsg.: Fraueninitiative Leipzig, Unabhängiger Frauenverband e.V., Landesverband Sachsen, S. 5.

[8] Vgl. Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 2, V.4.5-02, Bl 22.

[9] Vgl. Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 3, V.4.5-03, Bl 181.

[10] Vgl. Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 2, V.4.5-02 Bl 37.

[11] Vgl. Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 2, V.4.5-02 Bl 29.

[12] Vgl. Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 2, V.4.5-02 Bl 42.

[13] Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig, Henriette-Goldschmidt-Haus Bd. 3, V.4.5-03_148.


 

Über die Autorin

Laura Peter ist mehrjährige Projektmitarbeiterin bei der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. Im Rahmen des 2022 vom Digitalen Deutschen Frauenarchiv geförderten Projekts Erschließung des Teilnachlasses von Johanna Marta Ludwig, geb. Seiler (*26.01.1937–†02.08.2013) setzte sie sich intensiver mit dem Henriette-Goldschmidt-Haus sowie der im Louise-Otto-Peters-Archiv vorhandenen Sammlung zum Kampf um dessen Erhalt auseinander.

Kommentare

Keine Kommentare

Kommentar schreiben

* Diese Felder sind erforderlich