Die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. beim ersten Frauenstreik in Deutschland am 8. März 1994

Am Frauenkampftag 2022 übergaben Aktivist:innen der AG Frauen*projekte Leipzig eine Unterschriftensammlung an die AG Straßennamen der Stadt. In dieser forderten sie für 85 wichtige Frauen der Geschichte eigene Straßennamen, um deren Wirken zu würdigen.[1] Die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (LOPG) schlug hierfür Karola Bloch (Architektin und Autorin), Bettina Brenner, Elsa Asenijeff (Schriftstellerin) und Fanny Goetz vor.

Die Forderung nach mehr Sichtbarkeit im Stadtbild, konkret auf Straßenschildern, ist nicht nur ein Jahr alt, sondern im Falle der LOPG 30 Jahre! Seit der Gründung des Vereins 1993 setzten sich die Mitglieder für die Benennung einer Straße nach Louise Otto-Peters, aber auch für andere historische Frauenpersönlichkeiten ein. So engagierten sie sich auch im Rahmen des ersten Frauenstreiks in Deutschland 1994 dafür.[2]


Ost- und westdeutsche Feministinnen gemeinsam

1994 ging in die deutsche Frauenbewegungsgeschichte ein als Jahr, von dem bis heute erzählt wird, dass es gelungen sei, eine Millionen Frauen für Proteste am 8. März zu mobilisieren. Das Motto des Streiks war „Jetzt ist Schluss – uns reichts!“ und er war die erste öffentlich sichtbare, große gemeinsame Aktion von Feminist:innen aus Ost und West.

Die Initiatorinnen setzten sich zusammen aus dem Streikkomitee Köln/Bonn, das sich laut Gisela Notz anfangs in ihrer Wohnung traf, und dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) (Berlin-Ost), der ebenfalls ein Streikkomitee gegründet hatte. Ab 1992 trafen sich die ersten Gruppen und arbeiteten an einem Streikaufruf.[3]

Die Presseerklärung der Initiatorinnen und der Aufruf zum bundesweiten Koordinierungstreffen von 1993 thematisiert die Bereiche Sorgearbeit, Selbstbestimmung, Sozialleistungen, gegen Gewalt, für die Rechte von Flüchtlingen und Migrantinnen.[4]

Während es bundesweit eine Millionen Menschen gewesen sein sollen, die für Frauen-Belange auf die Straße gingen, blieb es in Leipzig bei wenigen Hundert.[5]


Flyer zum FrauenStreikTag 1994 in Leipzig

Flyer: Louise-Otto-Peters-Archiv. Rechte vorbehalten.

Leipzig als Beispiel für die Probleme der ehemaligen DDR-Frauen

Vor Ort in Leipzig wurde der Protest organisiert durch PDS und DGB.[6] Die Gewerkschaften waren von Beginn an in die bundesweiten Vorbereitungen des Streiktages involviert, da eines der zentralen Themen die Diskrepanz der Verteilung von Lohn- und Sorgearbeit auf Männer und Frauen war.[7] Daneben stand vor allem die hohe Frauenarbeitslosigkeit im Mittelpunkt, die insbesondere die protestierenden Frauen (und wenigen Männer) in Leipzig auf die Straße trieb. Im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten waren in den ostdeutschen Bundesländern viele Frauen arbeitslos geworden. 1993 betrug ihr Anteil an den Erwerbslosen 63,9%. Bei Einstellungen und Entlassungen wurden Männer vor Müttern und älteren Frauen bevorzugt. Daneben waren Frauen mehr von der Verschlechterung der Betreuungssituation von Kindern betroffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich erschwerte.[8] Dadurch wurden vormals materiell unabhängige Menschen zu Bittsteller:innen beim Staat oder ihren Ehemännern.[9] 

Auf diesen Umstand machten die Aktivist:innen des Frauenstreiks in Leipzig aufmerksam, in dem sie den Augustusplatz (1945 bis 1990 Karl-Marx-Platz) im Herzen der Stadt kurzer Hand in “Frauenarbeitsplatz” umbenannten. Außerdem kritisieren die Leipziger Aktivist:innen die mangelnde Anerkennung von Frauen als aktiver Teil der Gesellschaft.

Die an den "Frauenarbeitsplatz" angrenzende Straße wurde an diesem 8. März 1994 mit einem sehr breiten Transparent von circa 50 Personen blockiert, wodurch ein Teil des Innenstadt-Verkehrs zum Erliegen kam. Die Frauen und ihre Unterstützer zu übersehen, war dadurch kaum noch möglich. Die Polizei versuchte, die Blockade mit geringsten Mitteln zu beenden. Neben der Straßenblockade gab es Redebeiträge und einen sogenannten “Lila Wunschbaum”. An diesen hefteten Frauen vor Ort ihre Wünsche oder, besser, ihre Forderungen. Hier eine überlieferte Auswahl: “Hoffentlich lassen die Männer mal dieses ‘Weiber, Weiber’”, “Liebe Herren unserer Amtskirche, macht einen Stuhl frei für die Gleichstellung Eurer Schwestern”, “Wann dürfen sich unsere Kinder mal Kinder anschaffen? Wann ist es dem Chef recht?”, “Schluss mit Männerkarrieren, wir brauchen Familienväter”.[10]

Straßenblockade am "Frauenarbeitsplatz"

Fotos: Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig. Rechte vorbehalten.


Praxisform: Straßenumbenennungen

Unter den am Streik teilnehmenden Gruppierungen war auch die LOPG. Nicht nur durch die personelle Überschneidung in Form von Frau Notz, einem Gründungsmitglied der LOPG, sondern vor allem in der inhaltlichen Forderung nach mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Gesellschaft traf sie sich mit den anderen Gruppierungen. Als historisch arbeitender Verein ist es eine Forderung der LOPG, damals wie heute, diese Sichtbarkeit unter anderem herzustellen, indem Straßen und Plätze in Leipzig nach wichtigen, weiblichen Persönlichkeiten der Stadtgeschichte benannt werden. Im Rahmen des ersten Frauenstreiks wurde nicht nur der Augustusplatz in "Frauenarbeitsplatz" umbenannt, sondern auch abgehende Straßen nach wichtigen Frauen der Geschichte.
Rekonstruieren konnten wir folgende: Henriette Goldschmidt (Fröbelpädagogin, Publizistin und Mitbegründerin der ersten deutschen Frauenbewegung), Ernestine Liebknecht[11] (Schriftstellerin, Übersetzerin und erste Ehefrau Wilhelm Liebknechts), Rosalie Büttner (Oberlehrerin, Mitbegründerin und bis zu ihrem Tod Vorsitzende des Leipziger Lehrerinnenvereins), Henriette X[12] (anonyme Autorin einer Streitschrift 1798), Luise Ariowitsch (jüdische Stifterin wohltätiger Einrichtungen), Ottilie von Steyber (Pädagogin, Mitbegründerin der ersten deutschen Frauenbewegung), Maria Margaretha Kirch (Astronomin und Meteorologin), Christiana Marianne von Ziegler (Schriftstellerin), Anna Magdalena Bach (Meistersängerin und Ehefrau von Johann Sebastian Bach), Frederike Oeser (Kunstagentin), Bertha Wehnert-Beckmann (erste Berufsfotografin Europas), Fanny Mendelssohn/Hensel (Komponistin), Natalie Liebknecht (Übersetzerin und zweite Ehefrau Karl Liebknechts), Angelika Hartmann (Pädagogin) und natürlich Louise Otto-Peters.[13]

Umbenannte Straßen am "Frauenarbeitsplatz"

Fotos: Louise-Otto-Peters-Archiv, Nachlass Johanna Ludwig. Rechte vorbehalten.


Exkurs

In den Berichten der Zeitung Leipzigs Neue werden die Aussagen einer exiliranischen Dissidentin wiedergegeben. Sie forderte, dass weibliche Solidarität wechselseitig sein müsse: so wie sie mit den Frauen in Deutschland solidarisch sei, sollten auch die Deutschen an der Seite diskriminierter Geflüchteter stehen. Eine Forderung, die an Aktualität nichts verloren hat.[14]


Die LOPG schlägt den Namen Louise-Otto-Peters-Straße für die damalige Grenzstraße vor.

Quelle: Louise-Otto-Peters-Archiv. Rechte vorbehalten.

Kampf um Straßennamen

Für die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. ging der Kampf um Straßen(um)benennungen auch nach dem 8. März 1994 weiter.
Lange setzten sich ihre Mitglieder dafür ein, die Straße an Louise Otto-Peters' letztem Wohnhaus nach ihr zu benennen. Stattdessen entschied sich die Stadt Leipzig 2000 diese Ludwig Erhard zu widmen, einem westdeutschen Politiker. Als am 6.11.2002 dann eine Straße nach Louise Otto-Peters benannt wurde[15] , war dies nur ein Teilerfolg, handelt es sich bei dieser doch um eine am Stadtrand gelegene Landstraße ohne Bezug zum Leben einer der Führungsfiguren der ersten deutschen Frauenbewegung.

Widerspruch mit Begründung gegen die Benennung in Ludwig-Erhard-Straße.

Quelle: Louise-Otto-Peters-Archiv. Rechte vorbehalten.


Insgesamt rang die Leipziger Frauenbewegung in den Jahren nach 1994 mit Herausforderungen, wie der stetigen Unsicherheit der Finanzierung von Projekten oder der schwierigen Suche nach geeigneten Räumlichkeiten.[16] Gelungen ist seit damals die Vernetzung und Zusammenarbeit von verschiedenen institutionalisierten Initiativen, die sich auch seit 1995 in der AG Frauen*projekte zeigt.

Der Frauenstreik von 1994 blieb bis 2019 in Deutschland ohne Neuauflage und wurde seitdem in der feministischen Bewegung selbstverständlich von Ost und West bespielt. Ob es einen spezifischen Ostfeminismus vor und insbesondere nach der sogenannten Wende gab und was ihn ausmacht(e), ist heute Teil des Diskurses in der und über die feministische Bewegung.[17] Die bekannte Feministin und Musikerin Sookee schrieb in einem Beitrag 2020 für das Digitale Deutsche Frauenarchiv, dass die Trennlinie West – Ost nicht mehr relevant sei und heute vielmehr um politische Positionen gerungen werde.[18] So oder so, hilft der Blick in die eigene Bewegungsgeschichte verschiedene Standpunkte zu verstehen und über Differenzen hinweg solidarisch zu sein.


Anmerkungen

[1] Vgl. Straßenamen-Aktion. (Auch) Straßennamen bilden Gesellschaft ab! Eine unterstützende Aktion der AG Frauenprojekte Leipzig zum 8. März 2022, siehe Website der AG Frauenprojekte: https://agfrauenprojekte-leipzig.com/auch-strassennamen-bilden-gesellschaft-ab/, aufgerufen am 20.02.2023.

[2] Vgl. N.N.: Leipziger Frauenring, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.

[3] Vgl. Notz, Gisela: Frauenstreik 1994 – 8. März Schluss! Uns reicht’s!, in: FFBIZ – Das feministische Archiv: https://www.das-feministische-archiv.de/wir-haben-sie-noch-alle/frauenstreik-1994-8-maerz-schluss-uns-reicht-s, zuletzt aufgerufen: 20.02.2023.

[4] Vgl. FrauenStreikTag ‘94: Presseerklärung, in: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/meta-objekt/frauenstreiktag-94--presseerklaerung/bdb1762fmt#bdb1762fmt_1, zuletzt aufgerufen: 20.02.2023.

[5] Vgl. wart: Frauenrechte sind Menschenrechte, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.

[6] Vgl. ebd. und N.N.: Frauendemo: Männer marschierten in der ersten Reihe, in: Morgenpost, 09.03.1994.

[7] Vgl. N.N.: Frauenstreik. Gegen Erwerbslosigkeit, in: taz. die tageszeitung, 29.06.1993, S. 5.

[8] Vgl. Beckmann, Karin: Zerstörte Hoffnungen, neue Herausforderungen. Die Erwerbssituation ostdeutscher Frauen in den frühen 1990er-Jahren, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/zerstoerte-hoffnungen-neue-herausforderungen-die-erwerbssituation-ostdeutscher-frauen, zuletzt aufgerufen: 15.02.2023.

[9] Vgl. Bock, Jessica: Frauenbewegung in Ostdeutschland. Aufbruch, Revolte und Transformation in Leipzig 1980-2000, mdv 2020, S. 327.

[10] Alle zitiert nach: wart: Frauenrechte sind Menschenrechte, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3

[11] Literatur zu Ernestine Liebknecht: Schröder, Wolfgang: Ernestine. Vom ungewöhnlichen Leben der ersten Frau Wilhelm Liebknechts - Eine dokumentarische Erzählung, Verlag für die Frau, Leipzig, 1987.

[12] Literatur zu Henriette X: Müller, Joachim: Gedanken über eine Streitschrift (Henriette X), in: Bodeit, Friderun: Ich muß mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig, Verlag für die Frau, Leipzig 1990, S. 68-74.

[13] Vgl. N.N.: Leipziger Frauenring, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.

[14] Vgl. N.N.: Wir brauchen eure Solidarität, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3

[15] Vgl. Straßennamenverzeichnis der Stadt Leipzig: https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/unsere-stadt/gebietsgliederung-und-strassennamen/strassennamen/strassennamenverzeichnis/strasse/strassen-details/louise-otto-peters-allee

[16] Vgl. Bock, Frauenbewegung in Ostdeutschland, S. 367-376.

[17] Vgl. DDF-Blog: Gibt es einen Ostfeminismus?, in: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/blog/gibt-es-einen-ostfeminismus, zuletzt aufgerufen 06.03.2023.

[18] Vgl. Sookee: Keine Zeit für Ost-West-Verhältnisse, in: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/keine-zeit-fuer-ost-west-verhaeltnisse, zuletzt aufgerufen 28.02.2023.


Zum Weiterlesen, verwendete Literatur und Quellen (Auswahl)

Quellen:

Literatur:

  • Bock, Jessica: Frauenbewegung in Ostdeutschland. Aufbruch, Revolte und Transformation in Leipzig 1980-2000, mdv 2020.

Internetquellen:

Zeitungen/Zeitschriften:

  • N.N.: Leipziger Frauenring, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.
  • N.N.: Wir brauchen eure Solidarität, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.
  • N.N.: Frauendemo: Männer marschierten in der ersten Reihe, in: Morgenpost, 9.3.1994.
  • N.N.: Frauenstreik. Gegen Erwerbslosigkeit, in: taz. die tageszeitung, 29.6.1993, S. 5.
  • wart: Frauenrechte sind Menschenrechte, in: Leipzigs Neue, Nr. 5, 1994, S. 3.

Über die Autorinnen

Kathrin Will und Laura Peter sind Mitarbeiterinnen im 2023 vom Digitalen Deutschen Frauenarchiv geförderten Projekt "(Ost)Frauen nach der Wende". Identitätssuche, Engagement und Freund:innenschaft im Spiegel der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.
Im Rahmen des Projekts arbeiten sie zur Vereinsgeschichte und sprechen mit (ehemaligen) Aktivist:innen über ihre Kämpfe seit den 1990er-Jahren.

Kommentare

Danke, ein informativer und wichtiger Beitrag zum 8. März 2023!

Hier bitte zwei Nachträge:

Sehr viele Beiträger*innen der gemeinsamen Frauenstraßennamen-Aktion zum Frauentag 2022 nutzten für ihre Vorschläge und Begründungen das Portal "Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts", ein seit 2013 vom Gleichstellungsreferat gefördertes Projekt der LOPG mit bisher über 200 Frauenpersönlichkeiten. In der dortigen Service-Rubrik "Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig" steht, ob es schon eine diese Frau würdigende Straße in Leipzig gibt.

Die Louise-Otto-Peters-Allee im Leipziger Norden ist die neugebaute Staatstraße 1, die zumindest durch häufige Erwähnung in Verkehrsmeldungen den Namen in Erinnerung hält.

Weitere Geschichte und Geschichten zum Thema folgen zur 30-Jahr-Feier der LOPG am 25.03.2023.

Herzliche Grüße zum Frauentag von Gerlinde Kämmerer

Projektleiterin "Frauen machen Geschichte. Leipziger Frauenporträts"

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