Die Nation und ihre Frauen. Louise Otto-Peters' Beiträge zum Thema der Nation in den Kriegsjahren 1866 und 1870/71


Der Begriff "Nationalismus" im Kontext des 19. Jahrhunderts 

Louise Otto-Peters (1819–1895) lebte in einer Zeit, die geprägt war vom Überkommen feudaler Herrschaftssysteme und der Etablierung von Nationalstaaten. Sie verband eine große emotionale Beziehung zu ihrer Idee einer deutschen Nation, aus der sie vielerlei Hoffnungen gerade auch für deutsche Frauen schöpfte. Wenn ich in diesem Beitrag den Begriff "Nationalismus" verwende, handelt es sich dabei keineswegs um das rechtspopulistisch-patriotische Verhältnis zu einer bestehenden Nation aus der heutigen Zeit, sondern vielmehr um den historischen Prozess der bürgerlich-liberalen Nationalstaatsbildung. Dieser Prozess kann in gewissen Bereichen als das Verfolgen emanzipatorischer Hoffnungen charakterisiert werden. Die Bildung eines Nationalstaates ging zu dieser Zeit allerdings häufig mit Kriegsführung einher, also einer gesellschaftlichen Extremsituation, die gerade in der Frauenbewegung einiges auslöste und somit aufschlussreich für eine heutige Untersuchung ist. In diesem Beitrag wird skizziert, wie Louise Otto-Peters' die Nation und vor allem die Rolle der Frauen in dieser begriff. Dafür waren ihre jornalistischen Beiträge in denNeuen Bahnen, der Vereinszeitung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), über die Kriege von 1866 (Deutscher Krieg) und 1870/71 (Deutsch-Französischer Krieg), zentral.

Preußisch-Österreichischer „Bruderkrieg“ als aristokratisches Machtspiel 

Als im Mai 1866 der Krieg zwischen den Verbündeten Preußens und den Verbündeten Österreichs ausbrach, überwand Louise Otto-Peters ihre politische Neutralität, die sie sich nach der gescheiterten Revolution 1848/49 selbst auferlegt hatte und kritisierte den Krieg als aristokratisches Machtspiel. Für Otto-Peters waren Kriege in erster Linie Aktionen von Fürsten, der preußisch-österreichische Krieg also ein weiteres Beispiel dafür, dass das feudale Herrschaftssystem nicht im Interesse der Menschen sei. Dem gegenüber stellte sie ihre Vorstellung einer deutschen Nation bürgerlicher Färbung.[1] Die Genese der Nation wurde als „freie Selbstbestimmung des Volkes“ betrachtet, für die bürgerlich-liberalen Kreise entsprach die Nation also einem Ergebnis eines natürlichen Prozesses, der den Interessen der Bürger:innen entsprang.[2] Daraus leitete sie ihre Kritik am Kriegstreiben ab:

„jeder Sieg deutscher Waffen [ist] auch eine Niederlage derselben.“[3]

Die Kritik wurde des Weiteren dadurch verstärkt, dass der Krieg gemeinhin als „Bruderkrieg“ betitelt wurde. An dieser Formulierung wird deutlich, dass in den 1860er Jahren die Nation mit der (bürgerlichen Kern-)Familie gleichgesetzt wurde, also ein Zusammengehörigkeitsgefühl ausgehend von gemeinsamer Herkunft. Aus dieser Zeit stammen auch die bis heute benutzten Begrifflichkeiten der Muttersprache oder des Vaterlandes. Das Bild der Brüder ist auch nach Kriegsende noch zentral:

„[…] wie lange wird es noch dauern bis der Haß, der durch diesen Krieg zwischen den einzelnen deutschen Bruderstämmen hervorgerufen worden, wieder getilgt ist, bis wir wirklich wieder ohne Erröthen von einem einigen deutschen Brudervolk werden sprechen können?“[4]

Es wird deutlich, dass die Auseinandersetzung Preußens und Österreichs Otto-Peters' Vorstellungen von Nationalismus bedrohte und deshalb vehement von ihr kritisiert wurde.

Die Geschlechterfragen des Krieges

Kriegstreiben war nun aber ein durch und durch männlich geprägtes Phänomen – schließlich wurden nur die männlichen Bürger für das Militär eingezogen. In der zeitgenössischen Rhetorik wurde den Frauen die Rolle der passiven Hausfrau zugewiesen, die auf den heroisch kämpfenden Ehemann warteten. Gegen dieses Bild ging Otto-Peters entschieden vor. So deutete sie einerseits gemeinsam mit ihrer Mitstreiterin Auguste Schmidt auf die Tragik der soldatisch-männlichen Einzelschicksale hin, hinterfragte also das Bild des heroisch kämpfenden – und sterbenden – Mannes. Andererseits fokussierte sie ihren Blick auf die Probleme der Frauen, die nicht aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt waren. Otto-Peters macht deutlich, dass Frauen immensen emotionalem Stress ausgesetzt waren:

„Eine Mutter aber, die ihre Söhne, eine Gattin den Gatten […] in den Krieg ziehen sieht, eine solche zählt die Stunden und Tage, die so von dem theuren Krieger ohne Nachricht bleibt – und wenn das Schrecklichste geschehen, wenn ihn der Schlachtentod erlöst hat von der traurigen Pflicht des Mordhandwerkes – wer zählt und trocknet dann ihre Tränen?“[5]

Gezielt nutzt sie das Bild der Mutter und Ehefrau, um auf die Rolle der Frauen in der Gesellschaft aufmerksam zu machen, womit auf das Sinnbild der Familie zurückgegriffen und die gesellschaftliche Rolle der Frau politisiert wird – die Mutter der Familie wurde zu der Mutter der Nation. Die Autorin kämpft nicht gegen die bestehenden Rollenbilder, sondern nutzt sie produktiv für ihre Argumentation und bricht somit die bestehenden Handlungsfelder auf. So lässt sich schon der dezidierte Vaterlandsbezug als Ausweitung sowie Politisierung weiblicher Handlungsräume verstehen. Für die Frauen aus dem Umfeld des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) sorgte Krieg nicht zu ihrer Unterordnung der zeitgenössische Notlage, sondern spornte insbesondere ihren Patriotismus weiter an, der sie zu explizit politischen Haltungen bewegte. Zudem wurden geschlechtsspezifischen Problemen mit Hilfe des Krieg-Narrativs Sichtbarkeit verschafft.

Humanismus und Nation im deutsch-französischen Krieg 1870/71

Vier Jahre nach dem preußisch-österreichischen Krieg entbrannte in Mitteleuropa ein weiterer militärischer Konflikt zwischen dem Norddeutschen Bund unter Führung Preußens in Koalition mit den süddeutschen Kleinstaaten auf der einen, und Frankreich unter Herrscher Napoleon III. auf der anderen Seite. Für die männliche Zivilbevölkerung bedeutete das erneut die Mobilmachung und den Zug in den Krieg. Die Grundkonstellation war hier allerdings entschieden anders als noch vier Jahre zuvor: diese Auseinandersetzung versprach eine nie dagewesene Zusammenarbeit deutschsprachiger Kleinstaaten, die sich zum Ende des Krieges hin als Grundlage für die Gründung eines Nationalstaates herausstellen sollte. Die Wirkung auf die Frauenbewegung und den ADF ist mit mehreren Leitartikeln von Louise Otto-Peters dokumentiert, die erneut ihre nach 1866 größtenteils wieder eingenomme politische Neutralität aufgab und sich publizistisch in den Neuen Bahnen zu dem aktuellen Geschehen äußerte.[6] Spannend ist hier vor allem ein ideologischer Zwiespalt, der sich in Otto-Peters' Ausführungen zeigt. Auf der einen Seite propagierte sie eine weiblich geprägte, humanistische Position der friedlich koexistierenden Weltbevölkerung, auf der anderen Seite verband sie eine emotionale Beziehung mit ihrer Idee einer deutschen Nation. 

Stimme gegen den Krieg

Wie schon vier Jahre zuvor formuliert Otto als Herausgeberin der Neuen Bahnen in ihrem ersten Leitartikel nach Kriegsbeginn ihre Antipathie gegen den Krieg:

„denn jeder Krieg […] ist ein Basquill auf den fortschrittsfreundlichen Zeitgeist […] jeder Krieg – auch dieser – ist in unseren Augen ein Bruderkrieg!“[7]

Dieser Zeitgeist ist für Otto-Peters ein humanistischer, der für eine prinzipiell pazifistische Weltanschauung steht. Damit begab sie sich im öffentlichen Diskurs im deutschsprachigen Raum der Zeit allerdings auf einen sehr einsamen Posten. Diese Haltung wird in der damaligen Stimmungslage auf wenig Sympathie in der breiteren Bevölkerung gestoßen sein.[8] Was hier allerdings durchklingt, ist eine Idealvorstellung friedlich koexistierender Nationen, die nicht mehr auf Kriege angewiesen sein würden. Interessant ist der Einsatz geschlechterpolitischer Haltungen. So postuliert sie:

„[d]aß es ein Verrath […] gewesen, das weibliche Geschlecht unterdrückt […] zu haben – […] wäre dies nicht geschehen, wir würden uns humanerer Zustände erfreuen und die Kriegsbarbarei ein überwundener Standpunkt sein.“[9]

Die Grundidee in Ottos Argumentation ist, dass die aktuelle Politik, auch in Bezug auf Nationalismus, männlich geprägt sei. Als Gegenentwurf insistiert sie, Frauen hätten stattdessen durch ihr „zartes Empfinden, mit ihrer Liebe und Milde [sowie der] natürlichen Stimme ihres Herzens“[10] eine Politik betrieben, die Kriege von vorneherein verhindert hätte. Otto-Peters deutet wieder bestehende Zuschreibungen an Frauen positiv um – in diesem Fall Emotionalität – und macht sie argumentativ für ihre Zwecke nutzbar.

Vielleicht doch eher Nationalistin?

Im Folgenden wird allerdings deutlich, dass eine Argumentation, die vollkommen vom Nationalismus losgelöst wäre, zu dieser Zeit allein strategisch schon nicht funktionieren konnte. So schließt Otto-Peters ihren Artikel „Krieg!“ mit zwei Absätzen, die wiederum ein nationalistisches Plädoyer für den Sieg der deutschen Staaten darstellen:

„Wehe uns, wenn wir nicht bereit wären, der deutschen Freiheit unser liebstes zu opfern! Ihrem Dienst sind unsere ‚Neuen Bahnen‘ gewidmet, ihrem Dienst galt unser ganzes Leben! Für unser deutsches Volk und mit ihm wollen wir jeder Gefahr muthig entgegengehen und nichts uns kümmern lassen, als seine heilige Sache.“[11]

Es wird deutlich, dass sie ihren Patriotismus öffentlich legitimieren musste, um sicherzustellen, dass ihre Texte nicht als dem Mainstream komplett entgegenstehend gebrandmarkt wurden. Sie versucht in ihrem Text die beiden Konzepte des Humanismus und des Nationalstaats miteinander zu verknüpfen, was ihr aber nur zum Teil gelingt. Sie schafft es nicht, an ihrer anfänglichen Kritik am Krieg festzuhalten, sondern legitimiert diesen noch im selben Text durch ihre Aussage, dass die Nation der notwendige nächste Schritt zum größeren Ziel des humanistischen Weltbilds sei. Und für das Erreichen dieser Nation war zu der Zeit eben häufig ein Krieg nötig. Die Aussicht eines deutschen Nationalstaats, der eine Mehrheit der deutschsprachigen Kleinstaaten beinhaltete, schien doch zu verlockend gewesen zu sein, um den Krieg grundlegend zu kritisieren.[12]

Über die Grenzen der Nation hinaus

Louise Otto-Peters verwies im Kontext der beiden Kriege 1866 und 1870/71 auf die Rolle von Frauen in der Gesellschaft und machte deutlich, dass weibliche Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen und der Politik förderlich wäre. Dabei bezieht sie sich vor allem auf das zeitgenössische Ideal der Nation, die für viele aus der bürgerlichen Schicht und daher auch für die bürgerlichen Frauen des ADF die Verheißung von besseren Lebensumständen und größerer Beteiligung bedeutete. Indem Otto bestehende weibliche Rollenbilder wie Mutterschaft oder Emotionalität als wichtige und positive Beiträge zur deutschen Gesellschaft stilisierte, bekräftigte sie die Relevanz von Frauen für zeitgenössische Entwicklungen. Interessant ist darüber hinaus, dass Otto-Peters nicht nur aus der Nation emanzipatorische Hoffnungen zog. Sie bezog sich dazu noch auf einen Humanismus, der in der damaligen Zeit selten so explizit formuliert wurde. So würde weiblich gesteuerte Politik dem Kriegstreiben ein Ende setzen und somit auf die Etablierung der Nationen noch eine Entwicklungsstufe obendrauf setzen. Sie fokussierte sich durchgehend auf den positiven Einfluss, den Frauen auf die deutsche Nation und Gesellschaft haben würden und erreicht dadurch eine stark aufgebaute und überzeugende Argumentation. Viele ihrer Visionen brauchten allerdings eine lange Zeit, um sich in der deutschsprachigen Welt zu realisieren.


Anmerkungen

[1] Bussemer, Herrad-Ulrike: Frauenemanzipation und Bildungsbürgertum. Sozialgeschichte der Frauenbewegung in der Reichsgründungszeit (Ergebnisse der Frauenforschung, Bd. 7), Weinheim/Basel 1985, hier S. 171 und 176; und vgl. Planert, Ute: Vater Staat und Mutter Germania: Zur Politisierung des weiblichen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert, in: dies. (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegung und Nationalismus in der Moderne (Geschichte und Geschlechter, Bd. 31), Frankfurt a. M. 2000, S. 15-65, hier S. 27.

[2] Otto, Louise: Im deutschen Bruderkriege, in: Neue Bahnen 1/13, 1866, S. 97-98, hier S. 97.

[3] Ebd.

[4] Otto, Louise: Friede, in: Neue Bahnen 1/22, 1866, S. 169-170, hier S. 169.

[5] Otto, Louise: Im deutschen Bruderkriege (wie Anm. 2), S. 97.

[6] Vgl. Bussemer: Frauenemanzipation (wie Anm. 1), S. 177.

[7] Otto, Louise: Krieg!, in: Neue Bahnen 5/16, S. 121-122, hier S. 121.

[8] Vgl. Bussemer: Frauenemanzipation (wie Anm. 1), S. 177f.

[9] Otto, Louise: Krieg! (wie Anm. 7), S. 122.

[10] Ebd., S. 121.

[11] Ebd., S. 122.

[12] Ute Planert kommt zu einem etwas anderen Ergebnis. Sie sieht die humanistische Kritik am Krieg eher als kleinen Vorbehalt, der das größere Ziel der Nation nicht beeinträchtigt habe. (Vgl. Planert, Ute: Die Nation als „Reich der Freiheit“ für Staatsbürgerinnen. Louise Otto zwischen Vormärz und Reichsgründung, in: dies. (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegung und Nationalismus in der Moderne (Geschichte und Geschlechter 31), Frankfurt a. M. 2000, S. 113-130, hier S. 124.) Ich sehe hier aber vielmehr ein größeres, wohl aber sehr viel komplexer erreichbares Ziel der friedlichen Weltordnung, das als Grundmotivation in Otto-Peters' Argumentation mitschwingt.


Zum Weiterlesen, verwendete Literatur und Quellen (Auswahl)

Quellen

  • Otto, Louise: Friede, in: Neue Bahnen 1/22, 1866, S. 169-170.
  • Dies.: Im deutschen Bruderkriege, in: Neue Bahnen 1/13, 1866, S. 97-98.
  • Dies.: Krieg!, in: Neue Bahnen 5/16, 1870, S. 121-122.

Literatur

  • Bussemer, Herrad-Ulrike: Frauenemanzipation und Bildungsbürgertum. Sozialgeschichte der Frauenbewegung in der Reichsgründungszeit (Ergebnisse der Frauenforschung 7), Weinheim/Basel 1985.
  • Planert, Ute: Vater Staat und Mutter Germania: Zur Politisierung des weiblichen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert, in: dies. (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegung und Nationalismus in der Moderne (Geschichte und Geschlechter 31), Frankfurt a. M. 2000, S. 15-65.
  • Dies.: Die Nation als „Reich der Freiheit“ für Staatsbürgerinnen: Louise Otto zwischen Vormärz und Reichsgründung, in: dies. (Hg.): Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegung und Nationalismus in der Moderne (Geschichte und Geschlechter 31), Frankfurt a. M. 2000, S. 113-130.

Über den Autor

Johannes Pütter, 23, ist Student an der Uni Oldenburg in Geschichte und Englisch (Ziel: Lehramt) und schrieb seine Bachelorarbeit zum Thema „Mütter des Vaterlandes. Konzeptionen weiblicher Handlungsspielräume durch den Allgemeinen Deutschen Frauenverein zur Reichsgründungszeit im Kontext nationalistischer Diskurse“, die ihn im Sommer 2022 in das Louise-Otto-Peters-Archiv führte. 

 

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