Impressionen vom 26. Louise-Otto-Peters-Tag in Meißen

von Klaus Harder

 

 „Auf den Spuren von Louise Otto“ ließen sich Teilnehmenden des diesjährigen „Louise-Otto-Peters-Tages“ am Sonntagnachmittag durch das herbstbunte Meißen führen, womit zugleich die dreitägige Veranstaltung zu Ende ging. Abgekürzt auch als „LOPT“ bezeichnet der Name die wissenschaftlichen Fachtagungen zu Leben, Werk und Wirken ihrer Namensgeberin, die die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. (LOPG) seit 1993 regelmäßig veranstaltet und deren Beiträge später in der Schriftenreihe  LOUISEum veröffentlicht werden. Der jüngste LOPT war bereits der 26., und wurde diesmal gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Sachsen vom 15. bis 17. Oktober 2021 im St. Afra-Klosterhof Meißen durchgeführt und galt wieder den Spuren, die Louise Otto-Peters hinterließ. Der Rundgang mit Gästeführerin Gabriele Kluge, selbst Mitglied in der vor allem in Leipzig tätigen Gesellschaft, folgte Stationen der Kindheit und Jugend der gebürtigen Meißnerin und ihrer frühen Schaffensphase, in der sie hier zur anerkannten Schriftstellerin und wirkmächtigen Frauenpolitikerin reifte. Louise Otto hat die erste Hälfte ihres Lebens in der Elbestadt verbracht. Nach der Hochzeit mit dem Revolutionär August Peters 1858 im Meißner Dom zog das Paar nach Leipzig.

Der 26. LOPT hatte – wie schon oft geschehen – wieder zahlreiche Interessierte aus ganz Deutschland angezogen. Unter dem Motto „Feenpaläste, Industriekönige und weiße Sklaven“ fand er änlässlich Louise Ottos sozialkritischen Roman „Schloß und Fabrik“ statt, der vor 175 Jahren erschien (Die Gesellschaft wird noch in diesem Jahr eine Neuauflage herausgeben ►LOUISEum 39). Die damals 26-jährige Schriftstellerin hat darin persönliche Eindrücke von der beginnenden Industrialisierung in Sachsen mit einer fiktiven Romanhandlung verflochten. Ihr soziales Engagement und ihre Parteinahme sowie die besondere, mit dem Buch verbundene Zensurgeschichte haben die junge Frau ihrerzeit entscheidend geprägt – sowohl als Schriftstellerin wie auch als Vorkämpferin für Frauenrechte in Deutschland. An der Tagung beteiligten sich führende Wissenschaftler:innen der Louise-Otto-Peters- und der Frauengeschichtsforschung verschiedener akademischer Bildungseinrichtungen, die in Vorträgen und Diskussionsrunden eine Vielzahl literarischer und literaturwissenschaftlicher, frauenpolitischer, sozialer und sogar architekturhistorischer Fragen herausarbeiteten und zu neuen Zusammenhängen verknüpften. Unter dem Aspekt „gerechte Arbeit und Geschlecht“ richtete sich der Blick wiederholt auf aktuelle und zukünftige Aufgaben – auch der LOPG selbst.

Dr. Gesine Märtens, Staatssekretärin Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, reflektierte in ihrem Grußwort, ausgehend von Louise Ottos Widmung „Gruß und Handschlag“ im Vorwort der 1846er Erstausgabe von „Schloß und Fabrik“, Frauenpolitik damals und heute.

Eng um Anlass und Ausgangspunkt der Tagung kreiste der Vortrag der Historikerin Dr. Irina Hundt, seit 2020 Ehrenmitglied der LOPG. Sie legte den Schwerpunkt darauf, wie konkret und plastisch Louise Otto bereits in der Zeit des Vormärz die Lage der Arbeiterinnen beschrieb und wies anhand von Vergleichen mit späteren Schriften bzw. Veröffentlichungen in „Adresse eines Mädchens“ (1848) und der „Frauen-Zeitung“ (1849/51) nach, wie die Autorin dabei ihre eigene Position erweiterte und entwickelte.

Dr. Johannes Brambora konnte darlegen, dass „Schloß und Fabrik“ in einer längeren Reihe sozialer Romane steht, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden, aus ihr jedoch herausragt, weil er bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine Idee zur Lösung der sozialen Gegensätze anbietet: Versöhnung der Gegensätze durch Menschlichkeit und allseitige Mildtätigkeit.

Ausgehend von den zahlreichen Wahrnehmungen in Schriften und der Literatur der vormärzlichen Opposition schilderte Prof. Dr. Susanne Schötz, Dekanin der Philosophischen Fakultät der TU Dresden und der LOPG von Anfang an eng verbunden, den ungeheuren technisch-medialen Wandel, der sich im 19. Jahrhundert im Buchgewerbe vollzog, wodurch sich die Stadt Leipzig, seit 1860 Louises Heimat, zu einem bedeutenden Zentrum des Verlagswesens und der Druckindustrie entwickelte.

Für den Leipziger Architekten und Schriftsteller Dipl.-Ing Bernd Sikora bot Louise Ottos Beschreibung der „leuchtenden Fenster in Reih' und Glied“, mit denen ihr die mächtigen Fabrikgebäude wie riesige „Feenpaläste“ erschienen, Gelegenheit zu einem Exkurs durch die Geschichte sächsischer Industriebauten. Mit Bildbeispielen veranschaulichte er, dass diese ersten, um 1800 entstandenen sogenannten „Spinnmühlen“ – besonders im Raum Oederan, Flöha, Chemnitz – tatsächlich an Paläste erinnerten. Einige davon dürfte Louise Otto auf Ihren Reisen gesehen haben. 

Cordelia Scharpf, Ph. D. konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein. Sie ließ ihren schriftlich vorliegenden Beitrag über Luise Büchners (1821–1877) Buch „Die Frauen und ihr Beruf“ – eine Art Wegweiser für Mädchen und Frauen – von Claudia Quast verlesen, und so erhielten die Teilnehmenden des LOPT in Meißen einen dezidierten Einblick in ein bedeutsames Werk der deutschen Frauengeschichte. Die Schwester des bekannten Dichters Georg Büchner, selbst lebenslange Streiterin für Frauenrechte wie Louise Otto-Peters, hatte es 1855 zunächst anonym veröffentlicht, doch bereits im Folgejahr ließ sie es mit Nennung ihres Namens drucken, und bis 1872 erlebte das Werk vier Auflagen. Die progressive Schrift musste eine lebhaften Eindruck auf Büchners Zeitgenossinnen gemacht haben – so schrieb Marie Calm darüber, dass erst dieses Buch ihr ein Bewusstsein geschaffen habe für die Mängel in der Erziehung und Gleichstellung der Frau.

Mit Luise Mühlbach (1814–1873) stellte die Berliner Historikerin und Autorin Claudia von Gélieu dem Auditorium eine weitere Zeitgenossin von Louise Otto vor, die einst eine vielgelesene Unterhaltungsschriftstellerin war und den Büchermarkt innerhalb 36 Jahren mit 290 Bänden "überschwemmte", von denen einige auch ins Englische und Französische übersetzt und im Ausland nachgedruckt wurden. Gélieu informierte, dass Mühlbach in der Zeit des deutschen Vormärz mehrere Romane mit sozialkritischer Tendenz veröffentlichte und soziale Missstände anprangerte. Ihre Themen waren u.a. die Diskrepanz zwischen Arm und Reich, häusliche Gewalt, Prostitution, oder Zwangsehen. Sie unterstützte die Revolution von 1848 und warb für die Gleichberechtigung der Frauen, setzte sich aber nie für deren Zusammenschluss in einer Bewegung ein und blieb trotz ihres vielseitigen Engagements der Frauenbewegung fern und fremd. Wie viele Frauen ist sie heute so gut wie vergessen.

Neben diesen vorwiegend historischen bzw. literaturwissenschaftlichen Schwerpunkten zielte der 26. LOPT auch deutlich in die Gegenwart. Schon am Beginn stand eine Lesung mit der Schriftstellerin Olivia Golde, eingeführt und moderiert von Gerlinde Kämmerer. Goldes Buch „Karstadt waren wir“ erschien 2020 im Leipziger Verlag ►Trottoir Noir. „Chronik einer angekündigten Leerstelle“ lautet sein Untertitel, und beschrieben werden Frauenschicksale, die sich mit der nur wenige Monate zurückliegenden Schließung des Leipziger Karstadt-Kaufhauses verbinden. Es zeigte sich, dass Frauen in den sozialen Kämpfen unserer Zeit noch immer schwere Lasten aufgebürdet werden und so stand bereits am ersten Abend die große Frage: "Wie wollen wir leben?" im Raum.

Ähnliches machte auch Dr. Sara Morais dos Santos Bruss deutlich. Sie gehört der GenderConceptGroup (GCG) der TU Dresden an, in der sich Professor:innen des Bereiches Geistes -und Sozialwissenschaften zusammengeschlossen haben, die sich in ihrer jeweiligen Disziplin insbesondere auch der Geschlechterforschung widmen. Ihr Vortrag war mit „(Un-)Sichtbarkeit von Frauenarbeit in der Digitalisierung“ überschrieben und verdeutlichte eindringlich den Widerspruch, dass Frauen zwar von Anfang an in die Entwicklung von Computern und Computerprogrammen eingebunden waren, die öffentliche Wahrnehmung dieses bedeutenden Geschehens unserer Gegenwart jedoch vorwiegend durch Männer beherrscht wird.

Frauengeschichte sei auch im Geschichtsunterricht an Sachsens Schulen kaum relevant, bemerkte Franziska Deutschmann, seit 2020 Vorstandsmitglied der LOPG. „Eine bedauerliche Fehlentwicklung!“, hob sie hervor, die selbst ist Lehrerin an der Louise-Otto-Peters-Schule, Gymnasium der Stadt Leipzig. Sie plädierte für eine Behandlung des Lebens und Wirkens von Louise Otto-Peters sowie gerade deren Roman „Schloß und Fabrik“ im Unterricht – zu einen als Interpretationsquelle, zum andern als Grundlage für Erkenntnisgewinn und zur Förderung eines neuen Geschlechterbewusstseins. Nicht zuletzt dieser Hinwendung wegen wurde ihr Beitrag mit besonderem Beifall aufgenommen.

Dr. Kerstin Schimmel, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Sachsen, nutzte dessen frischen Geist zu der Bemerkung, dass „Louise in der Gegenwart angekommen“ sei. Damit beschrieb sie zugleich die gesamte Arbeit des jungen, 2020 gewählten Vorstandes, die sie gerade in der Phase der Vorbereitung dieses LOPT kennen und schätzen gelernt hatte. Dass diese überaus fruchtbar gewesen ist, konnten die Teilnehmenden an jedem der drei Tage immer aufs Neue erleben. Die Evangelische Akademie Sachsen hat dafür mehr als nur die räumliche Hülle beigesteuert, empfanden die Teilnehmenden übereinstimmend. Man versprach sich gegenseitig, etwas Ähnliches zu gegebener Zeit mit Freuden zu wiederholen.

Klaus Harder
Meißen, Oktober 2021


Dankesworte

Der Vorstand bedankt sich herzlich bei allen, die den 26. Louise-Otto-Peters-Tag mitorganisiert, mitgestaltet und möglich gemacht haben. Bedanken möchten wir uns bei der Landesdirektion Sachsen sowie 100 Köpfe der Demokratie, welche die Verantaltung förderten; bei Frau Dr. Schimmel und der Evangelischen Akademie Sachsen für die Organisation, Beherbergung und Verpflegung; bei Gerlinde Kämmerer, die diese Tagung auf die Beine gestellt hat, das Programm entwickelte und Ansprechpartnerin für die Referierenden war; und bei unseren Kolleginnen Chihiro Feuerbach-Suto sowie Laura Peter, die vor allem auf der Zielgeraden tatkräftig mit anpackten. Um solch eine Tagung zu konzipieren, zu organisieren und durchzuführen bedarf es großer Anstrengungen und echter Teamarbeit. Bedanken möchten wir uns natürlich auch bei allen Tagungsgästen für die spannenden Diskussionsrunden, geselligen Abende und die ideelle Unterstützung unserer Vereinsarbeit. 


Bildergalerie


Videos