Interview mit Dr. Gisela Notz

geführt für die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. von Kathrin Will am 25. April 2023 in Berlin

Nach dem Transkript überarbeitete und redigierte Fassung von Dr. Gisela Notz, Kathrin Will und Laura Peter.

Rechte vorbehalten.

 

I: Ich sage am Anfang ein paar Worte. Wir führen heute ein Interview mit Dr. Gisela Notz in Berlin, bei ihr zu Hause. Ich bin Kathrin Will und anwesend ist Laura Peter. Und es ist der 25. April 2023 vormittags. Gisela, mal so als Einstieg: Erzähle uns doch mal bitte, was hast du für einen Bezug zu Leipzig?

 

B: Zu Leipzig, was habe ich da für einen Bezug? Ja, das ist nicht weit von Berlin entfernt.  Eigentlich habe ich hauptsächlich durch die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. dort zu tun. Aber es gab auch schon andere Kongresse in Leipzig, zum Beispiel zur alternativen Ökonomie, was ja auch ein Forschungsschwerpunkt von mir ist. Große Kongresse, wo ganz Leipzig voller „Alternativis“ war. Und das war auch sehr schön. Und ja, dann ist natürlich zu Wendezeiten Leipzig auch durch die Montagsdemos oft in die Presse gekommen. Aber so eine besondere Beziehung habe ich, außer eben durch die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. zu der Stadt nicht. Also ich habe keine Verwandten oder sonst wie da.

 

I: Es war ja kürzlich der Festakt zum 30-jährigen Bestehen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. Und in deinem Grußwort hast du erwähnt, dass du Johanna Ludwig schon vor der Vereinsgründung kanntest? (B: Ja.) Kannst du davon erzählen?

 

B: Ja, die Geschichte erzähle ich gerne, soweit ich sie noch erinnere. Vielleicht war das sogar noch vor 1990. Es gab ja da Gelegenheiten, wo man zu Veranstaltungen fahren konnte - oder nicht? So viel ich weiß, war es in Weimar. Sicher bin ich, dass es eine historische Tagung war, die Marianne Zepp, eine Historikerin, die bei der Heinrich-Böll-Stiftung gearbeitet hat, organisiert hatte. Und es war, glaube ich, eine der ersten Tagungen– ob es die erste war, weiß ich nicht – bei der wir uns mit den „Ostfrauen“ getroffen haben. Ich weiß es auch nicht mehr, was der Titel meines Referates war. Aber ich habe ein Referat über Frauengeschichte gehalten. Es war eine sehr gut organisierte Tagung. Aber wahrscheinlich hatten die Veranstalterinnen damals auch nicht viel Geld oder noch keine Beziehung zu Hotels. Das war noch nicht so einfach zu der Zeit vor der „Wende“. Jedenfalls haben wir in Privatquartieren übernachtet. Und das ist dann meine erste Erinnerung an Johanna, die mit mir im gleichen Privatquartier untergebracht war. Da wir im gleichen Zimmer übernachtet haben, hatten wir Gelegenheit, uns bekannt zu machen und auszutauschen. Dabei stellten wir fest, dass wir zu vielen Punkten ähnliche Einstellungen hatten. So haben wir die halbe Nacht diskutiert über die Wiedervereinigung und ihre Folgen – vor allem für Frauen. Diese Begegnung mit Johanna habe ich in guter Erinnerung, denn das war wirklich der Beginn einer tollen Freundschaft. Seitdem hatte ich Kontakt zu Johanna. Wir haben uns angerufen, wir haben uns geschrieben und ausgetauscht. Ich habe auf ihre Anregung hin auch hin und wieder für eine Leipziger Tageszeitung geschrieben. Und dann war ich einmal in Leipzig und habe mit Johanna, die dort als Lektorin gearbeitet hat, den „Verlag für die Frau“ besucht. Johanna hat dort viele Frauenbücher mit auf den Weg gebracht, die wahrscheinlich nicht entstanden wären, wenn es Johanna nicht gegeben hätte. Ich hatte die Idee ein politisches Kochbuch zu schreiben, Johanna hat mich dazu ermuntert. Dann sind wir zusammen zum Verlag gegangen und ich sollte das Buch, von dem ich das erste Kapitel bereits fertiggestellt hatte, schreiben. Leider ist der Verlag ganz schnell abgewickelt worden, samt Johanna. Und Johanna war erwerbslos. Ich weiß nicht, wie das damals hieß? In der „Warteschleife“ war sie nicht, da gab es ja so bestimmte Ausdrücke, die kennt ihr heute nicht mehr. Jedenfalls war der Verlag weg, bzw. ist in eine kapitalistische Unternehmensform umgewandelt worden. Und ich hatte dann auch überhaupt keine Lust mehr, das Buch zu machen. Vielleicht findet es sich in meinem Nachlass wieder. (lacht kurz) An diesem Tag hat Johanna mir Leipzig gezeigt. Das habe ich deshalb in Erinnerung, weil es Leipzig war, wie es damals war, das heißt, wie es vor der Wende gewesen ist. Heute würde man das nicht wiedererkennen. Aber für mich war das wirklich so wichtig wie sie mir alles gezeigt hat und wie sie mir die Stadt, die Gebäude und die Bewohner:innen erklärt hat. Später, längere Zeit nach der „Wende“, hat sie mich natürlich auch weiter durch Leipzig geführt und wir haben die Veränderungen diskutiert. Wir hatten auch gemeinsame Bekannte in Ost-Berlin, Hertha Kuhrig zum Beispiel, war eine gute Freundin von Johanna und ist auch für mich eine wichtige Person gewesen. Nicht nur wegen der DDR-Frauenforschung, sondern insgesamt. Sie war gleich nach der „Wende“ von ihrer Position als Leiterin der Forschungsgruppe „Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft“ an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Rente gegangen, hatte die „Informationen. Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft“, auch „grüne Hefte“ genannt, herausgegeben. Beinahe bis zu ihrem Tod arbeiteten wir gemeinsam in einer kleinen privaten Frauengruppe. Am Abend der Gründung der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft hatte ich einen Vortrag im Rahmen einer Ringvorlesung an der Universität in Leipzig. Ich glaube, Ilse Nagelschmidt hatte sie organisiert, aber auch da bin ich nicht mehr sicher. Johanna kam, wenn ich in Leipzig war, immer dazu. An dem Tag habe ich bei Johanna übernachtet. Und dann hat sie mir schon im Vorfeld – wir waren Kaffeetrinken – erzählt: „wir gründen heute die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft und willst du dann nicht mitkommen?“ Ich sagte, „Ja, selbstverständlich komme ich mit.“. Ich kannte vor allem Louise Ottos Buch „Das Recht der Frauen auf Erwerb“. Das wurde ja dann auch mehr oder weniger durch mich als erstes Buch von der Gesellschaft neu aufgelegt. Natürlich mit der Hilfe von Johanna, die das wahrscheinlich noch besser kannte als ich. „Die Louise Otto-Peters, klar ist sie mir ein Begriff. Das ist eine tolle Sache, da mache ich mit,“ war meine Reaktion. Allerdings habe ich von dem Zettel, der jetzt öfter veröffentlicht ist, mit dem Gründungsaufruf, „Alle, die sich für die Gründung einer Louise-Otto-Peters-Gesellschaft interessieren, können im Anschluß an diese Vorlesung Näheres erfahren.“, habe ich nichts gesehen. Manchmal denke ich, da waren zwei Lehrveranstaltungen an denen der Aufruf verteilt worden ist. Ich habe auch die andere West-Frau Godula damals nie gesehen. Also da muss es nicht nur verschiedene Erzählungen geben, sondern vielleicht waren es sogar zwei Lehrveranstaltungen. (I: Das war ja eine Ringvorlesung.) Ja, das war eine Ringvorlesung. Bei der Gründungsveranstaltung waren dann nur lauter Frauen, die ich nicht kannte. Ich fand das Ganze eine gute Idee. Erstmal vielleicht bis dahin oder hast du noch Fragen?

 

I: Nein. Könntest du uns beschreiben, was hast du in diesen ersten Jahren für die Gesellschaft gemacht? Hast du Aufgaben übernommen oder Ämter? Oder, du hast jetzt eben schon „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ erwähnt, woran hast du mitgearbeitet?

 

B: Ich habe das so gesehen, dass die Organisation der Gesellschaft eine Aktion von den Leipziger Frauen ist. Und ich habe das - ich weiß nicht, ob ihr das noch fragen wolltet - aber auch so gesehen, dass diese Gründung von Anfang an ein Instrument zur Selbstermächtigung der Frauen war. Denn ich wusste ja von Johanna, nicht nur von ihr, wie schlecht es den Frauen ging, die ihrer Position von einem Tag auf den anderen enthoben waren. Es war nicht nur der Verlust der Position, sondern es war auch ein kultureller Schock. Plötzlich galt das alles nicht mehr, was für sie wichtig gewesen ist. Und da haben die Frauen sich einfach stark gemacht. (trinkt etwas) Und sie haben sich zusammengetan. Vielleicht war es die Idee von Johanna, vielleicht haben sie es untereinander abgesprochen? Ich weiß es nicht. Es waren alles Frauen in solchen Situationen, die gemeinsam die Gesellschaft gegründet haben. Und sie haben sich selbst ermächtigt, haben gesagt, jetzt machen wir unsere Gesellschaft. Was heißt hier der Job an der Uni? Was heißt hier der Job im Verlag? Das können wir jetzt nicht ändern, jetzt machen wir unser Ding, und das wird die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Und was dann daraus geworden, das waren ihre Aktivitäten. Damit haben sie ihre Würde und eine sinnvolle Aufgabe behalten.  Also so sehe ich das. Ich selbst habe kein Amt übernommen, ich war ja nur zufällig dabei, sah mich aber als Unterstützerin. Ich hatte weiter Kontakt mit Johanna. Ich habe selbst schon zu Zeiten der Wiedervereinigung in einem Ost-West-Frauenforum gearbeitet. Das hieß „Frauenforum Ökonomie und Arbeit“ und war an der Frauen-Anstiftung, die zum Stiftungsverband Regenbogen gehörte, der 1997 zur Heinrich-Böll-Stiftung wurde, angesiedelt. Es waren starke Frauen, die jeweils zur Hälfte aus der DDR und aus der Alt-BRD, also halb Ost und halb West kamen. Das Halbe-Halbe hat sich zufällig ergeben, nach meiner Ansicht. Und ich bin aber zu allen Veranstaltungen, die die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft gemacht hat, hingefahren. Ich habe bei den größeren Veranstaltungen immer Referate gehalten und ich habe dann 1997 die Neuauflage von „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ mit herausgegeben und bearbeitet. Eine wunderbare Kooperation. Auch mit der dritten Herausgeberin, Astrid Franzke. Die war auch bei dem Festakt zu 30 Jahre Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, das hat mich sehr gefreut. Das Buch entstand durch meine erste wirklich wunderbare Ost-West-Kooperation. Ich erstelle Forschungsarbeiten und Publikationen gerne in Kooperation mit anderen, denn ich bin eher ein Kollektivmensch als eine Einzelkämpferin. Bis dahin hatte ich von dem „Recht der Frauen auf Erwerb“ eine Kopie aus dem Archiv, in der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ich gearbeitet habe. Die haben mir die netten Bibliothekarinnen erstellt. Sie war noch in dem altdeutschen Druck. Und die haben wir dann, glaube ich, auch als Grundlage für die Neuauflage genommen. Und wir haben dann mit Vor- und Nachworten auf die damalige Situation hingewiesen. Ja, und dann habe ich auch - dass werdet ihr als Archivarinnen auch mitgekriegt haben – in vielen Publikationen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft Beiträge geschrieben, weil ich die Kooperation mit den Frauen sehr gut fand. Und es waren auch immer sehr informative und interessante Diskussionen, die wir geführt haben. Denn als Wissenschaftlerin mit vielen anderen Nebenämtern, geht man nicht einfach wohin, wo das nicht für einen selbst auch interessant ist. Und das waren die Tagungen und Treffen der Louise-Otto-Peters Gesellschaft stets gewesen. Ich war immer gerne dabei.

 

I: Würdest du sagen, das war etwas Besonderes? (B: Was?) Diese Arbeit in der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft?

 

B: Ja, einmal diese Ost-West-Auseinandersetzung. Was das Besondere für mich war? Ich forsche ja hauptsächlich zur Geschichte der Arbeiter:innen-Bewegung, da war ich schon irgendwie ein bisschen eine Besonderheit in der Gesellschaft, weil die meisten zu Bürgerlichen geforscht haben. Louise Otto-Peters war eine Bürgerliche, aber sie hat ganz viel für die Arbeiterinnen getan. Und zu der Zeit, wo sie den Allgemeinen Frauen-Verein gegründet hat, da waren die Unterschiede zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung zwar vorhanden aber noch wenig problematisiert. In Louise Ottos Roman „Schloss und Fabrik“ und auch im „Recht der Frauen auf Erwerb“, kann man nachlesen, dass sie immer auf der Seite der Kleingemachten gewesen ist. Schließlich hatte sie auch Erfahrung durch ihre Schwester, die im Erzgebirge lebte. Louise Otto-Peters war auch eine, die in meinem Kalender mit den eher linken, emanzipatorischen Frauen einen guten Platz bekommen konnte. Wir hatten auch Tagungen, wo sowohl über Louise Otto-Peters als auch über Clara Zetkin gesprochen wurde. Und Johanna war auch ein Clara-Zetkin-Fan. Das wollen wir festhalten. Ich habe mich auch gefragt, vielleicht könntet ihr da sogar mehr dazu sagen, warum man den Verein nicht nach Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg, es gab ja damals die Stiftung noch nicht, genannt hat? Das hätte man ja auch gekonnt. Und dann habe ich vielleicht eine etwas vage Vermutung, dass die Frauen ja nach der „Wende“ darunter zu leiden hatten, dass sie in diesem sozialistischen System aufgewachsen waren, das jetzt „abgewickelt“ wurde. Warum sollten sie eine Gesellschaft gründen, die mit ihrem Namen für das sozialistischen System stand? Und dann haben Sie überlegt, wen könnten wir sonst nehmen? Und sind auf Louise Otto-Peters gekommen, aus gutem Grunde. Denn das habe ich ja schon erzählt, was sie alles für die Arbeiter:innen geleistet und getan hat. Und insofern war das kein opportunistischer Akt, das auf gar keinen Fall, sondern einfach klug. Also, das ist meine Interpretation.

 

I: Du hast gerade gesagt, dass du immer gerne zu den Veranstaltungen in Leipzig hinfährst und hingefahren bist. Gibt es Veranstaltungen aus den 1990ern, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

 

B: Ja, das war schon die, wo gleichzeitig die bürgerlichen Frauen und auch die proletarischen Frauen vorgetragen worden sind. Und ich kann mich auch erinnern, ich habe bei einer Tagung Pauline Staegemann, eine der ersten sozialistischen Frauen, vorgestellt, als eine Frau sagte: „Wir sollten uns doch mal mehr um die Proletarierinnen kümmern.“ Also, so eine Verbindung war immer da gewesen, und ich kann jetzt nicht sagen, was so ganz besonders herausragend war. Vielleicht war es die Tagung zu 1848. Dazu gibt es auch ein Buch: „Frauen in der bürgerlichen Revolution von 1848“. Das finde ich nicht mehr. Das war sogar vom Bundesministerium herausgegeben. Und da waren damals viele Bekannte von mir dabei, Ilse Nagelschmidt und Hanna Behrend zum Beispiel. Da gab es einen Vortrag nach dem anderen. An einem Tag 18 Vorträge. Eigentlich wollte ich da gar nicht hingehen. Und das war dann so toll. Jede hat sich an die 20 Minuten gehalten, die sie hatte und ich habe so viel Neues erfahren. Das erinnere ich noch. Johanna hat natürlich auch vieles delegiert, aber sie musste dennoch auch alles selbst in der Hand haben. Das war es vielleicht, warum die so gut vorangekommen ist, die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Ich weiß das, obwohl ich ein bisschen in der Ferne war, und die Verbindung Bonn-Leipzig war nicht so gut wie heute.

 

I: Du hast schon erzählt von den Tagungen, auch an der Universität, und man kann ja so sagen, dass die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft auf diesem historischen Feld Grundlagenforschung geleistet hat. Pionierarbeit. (B: Ja.) Und wie hast du so dieses Verhältnis erlebt zwischen dieser außeruniversitären Forschung und der universitären?

 

B: Ja, das habe ich jetzt in Leipzig nicht so erlebt. Aber prinzipiell bin ich ja in einem außeruniversitären Forschungsinstitut gewesen. Ich habe auch immer während der ganzen Zeit, wo ich außeruniversitär geforscht habe - und das waren immerhin bald 40 Jahre - Lehrveranstaltungen gemacht, und zwar regelmäßig. Ich hatte immer meinen Uni-Tag und habe auch Vertretungsprofessuren übernommen. Die Frauenforschung hat sich ja erst entwickelt, mit der Frauenbewegung, in den späten 1970er und 1980er Jahren. Zu dieser Zeit waren wir „Außeruniversitären“ durchaus gleichberechtigt. Wir haben die gleichen Themen behandelt. Wir haben den Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis gegründet. Forschung und Praxis - das war uns immer wichtig. Und da waren damals auch Uni-Frauen und andere gemeinsam. Aber mit der Zeit, als auch die ersten Frauenprofessuren vergeben wurden, ist wieder alles viel akademischer geworden. Und wie das nach der Wende war? Ich glaube auch, dass die Ausdifferenzierung nach der Wende anders geworden ist. Aber wie die universitäre und die außeruniversitäre Forschung in Leipzig war, weiß ich nicht. Ich weiß, dass es auch Tagungen, die von der Uni organisiert waren, gab. Da war ich ja auch dabei. Dass es da sehr auf Titel ankam und so. Aber ich könnte da jetzt kein Urteil abgeben. Ich kann mir vorstellen, dass es da auch zu Konflikten oder Auseinandersetzen oder Überheblichkeiten, keine Ahnung, gekommen ist, weil einfach die Zeit so war.

 

I: Wen hast du in Leipzig kennengelernt, wenn du mal da warst?

 

B: Ja also, ich habe ja nicht so viele enge Beziehung gehabt, sondern eben zu Johanna und dann zu Hertha Kuhrig und Hanna Behrend, beide aus Berlin, die bei den Tagungen auch meist dabei gewesen und zu vielen anderen Frauen, auch Westfrauen, die dazu kamen, wie Florence Hervé, die ich aus meinen Zusammenhängen auch kenne oder natürlich Gerlinde. Gerlinde ist ja auch ganz lange dabei. Und Wolfgang Ludwig. Und jetzt weiß ich gar nicht, wie der Mann heißt, der auch immer forscht und der jetzt auch noch dabei ist? Den kenne ich auch schon ewig. Aber so richtig engere Beziehungen hatte ich eigentlich nur zu Johanna und Wolfgang, kann man sagen.

 

I: Das heißt, um das nochmal nachzufragen das Verhältnis zwischen den Westfrauen und den Ostfrauen im Verein, ist dir da irgendetwas aufgefallen? Wie hast du da wahrgenommen?

 

B: In der Louise Otto-Peters-Gesellschaft? (I: Ja, so allgemein.) Ja, wie gesagt, ich dachte lange Zeit, dass ich die einzige West-Frau war, weil ich doch mehr oder weniger zufällig dabei gewesen bin. Es war nicht zufällig, dass ich dabei war. Aber es war zufällig, dass ich da war. Und dann sagt eben Johanna irgendwann, dass die Godula ja auch ziemlich früh eingetreten ist und aus der Alt-BRD käme. Ob noch andere West-Frauen dazukamen, das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wer Mitglied wurde. Ich habe keine Ahnung über die Mitgliederbewegung. Ich bin von Anfang an da. Natürlich habe ich meinen Mitgliedsbeitrag gezahlt. Ich habe noch das Zettelchen, das Johanna mir ausgefüllt hat. Ein Beitrag, der sich natürlich in der Zwischenzeit erhöht hat. Und das Zettelchen hebe ich auch auf. (lacht) Ja, genau und wie da die Mitgliederbewegung war und auch bei den Tagungen, ob es da jetzt Ost-, West- Konflikte gab, das kann ich eigentlich gar nicht so sagen. Jedenfalls kamen immer auch mal Referentinnen aus dem „Westen“.

 

I: Wenn es dir nicht aufgefallen ist, dann nicht.

 

B: Nein, das ist mir nicht aufgefallen. Vielleicht kann ich schon mal gehört haben, dass jemand gesagt hat, „du bist ja keine Wessi“. Denn es gab ja dann die Besserwessis, die immer den Ostfrauen sagten, wo es langgeht. Da wollte ich auch gar nicht dazugehören. „Du bist ja gar keine Wessi, du bist ja eine Wossi“, so ähnliche Sprüche habe ich manchmal gehört. (lacht kurz) Aber das sind so Wortspiele. Ich denke, es gab immer Auseinandersetzungen, es gab nie „die“ Feministinnen. Es gab nie „die“ Frauenbewegung, es gab immer Außeruniversitäre und die Uni-Frauen, die furchtbar stolz waren. Aber da kann ich mich jetzt an spezielle Situationen gar nicht erinnern, denn irgendwann ist man dann ja, wie man heute sagt, in der Blase, wo man vielleicht Auseinandersetzungen, die sich nach der Tagung ergeben, gar nicht mitgekriegt hat, oder die in der täglichen Arbeit keine Rolle spielten. Johanna hatte ja immer ihr Büro zu Hause. Also, da weiß ich nicht so viel darüber.

 

I: Du hast die Louise-Otto-Peters Gesellschaft in Leipzig besucht. Gab es das auch mal andersrum, dass quasi Johanna oder andere von der Gesellschaft, von dir eingeladen wurden, zum Beispiel irgendwo hin?

 

B: Ja, natürlich. In der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo ich gearbeitet habe, hatte ich schon vor der Gründung der Gesellschaft einen Frauen-Arbeitskreis, der sich nach der Wende nochmal größer etabliert hat. Und da habe ich von Anfang an „Ostfrauen“ eingeladen. Da war Johanna auch dabei. Da war Hertha Kuhrig natürlich dabei. Und etliche andere, die aber dann zum Teil auch „abgewickelt“, also erwerbslos waren und nicht mehr wiederkamen. Andere kamen dann dazu. Da hatte ich auch sofort nach der Wende wirklich gute Ost-West-Beziehungen. Das ist vielleicht auch noch ganz wichtig, zu Ost-West: Im Jahr 1990 hatte ich, und es war jetzt wirklich der pure Zufall, ein Bildungsprojekt zu evaluieren, in Berlin von Bonn aus. Und dadurch war ich natürlich sehr viel, oft wochenlang, in Berlin gewesen. Ich musste eine Maßnahme evaluieren, wo Ost- wie Westfrauen nach einem Berufsausstieg weitergebildet worden sind. Solche Maßnahmen gab es viele. Darüber habe ich auch ein Buch geschrieben. Das war schon auch eine interessante Zeit. Ich habe selbst viele Erfahrungen gesammelt und habe auch gemerkt, wenn ich wieder in Bonn war und meinen Workshop vorbereitet habe, wie ahnungslos meine Bonner Kolleginnen waren, weil sie so viele Kilometer vom Geschehen weggewesen sind. Denn Bonn ist ja auch kein Grenzbezirk, sondern mittendrin. Und deshalb waren aber die Workshops auch für die westdeutschen Kolleginnen, die aus etlichen anderen Städten kamen, ganz wichtig.

 

I: Wo wir jetzt gerade bei Bonn waren, muss ich mal fragen: Auf der Bundesebene sozusagen - wie hast du da die Frauenpolitik erlebt nach der Wende, die sozusagen aus Bonn über alle gekommen ist?

 

B: Na, da habe ich ja schon mehrere Artikel darüber geschrieben. Was ich erinnere, ist auf jeden Fall der Kontakt zu einer anderen Freundin in Ost-Berlin. Sie hat später auch an meinem Kalender mitgearbeitet und ich habe jetzt noch Kontakt zu ihr. Wir haben oft halbe Nächte lang diskutiert, wie das eigentlich weitergehen soll. Wir hatten uns das mit der „Wiedervereinigung“ anders vorgestellt. Ich sage jetzt mal wir, damit meine ich meine Kolleginnen von der Zeitschrift „beiträge zur feministischen theorie und praxis“, waren sehr kritisch dieser „Wiedervereinigung“ gegenüber. Also die Euphorie, die von vielen kam: „endlich Mauer weg“, das war natürlich super. Erste Fahrradtour über die Glienicker Brücke, ganz super. Erste Begegnung mit Hanna oder Herta und oder Johanna - alles ganz wunderbar. Da haben wir auch gewonnen, wir konnten uns treffen, konnten diskutieren und auch fröhlich feiern. Dass viele Frauen ihre Erwerbsarbeit verloren und nicht mehr gebraucht wurden und dass man versucht hat, den Frauen ihre „ungebrochene Erwerbsneigung“ auszureden, könnt ihr euch heute vielleicht gar nicht mehr vorstellen. Schließlich herrscht Fachkräftemangel. Damals war die Erwerbslosigkeit hoch. Ein Jahr nach der “Wende“, im Oktober 1991 waren bereits 65 % aller Erwerbslosen Frauen. Zu dieser Zeit war ich bei einer Tagung in München gewesen. Das hat jetzt mit der Louise Otto-Peters Gesellschaft nicht direkt zu tun. Es ging um Frauenerwerbsarbeit in Ost- und Westdeutschland. Dort sagte ein Herr Zeller aus Sachsen oder Thüringen, ich glaube aus Sachsen war er damals und er kam vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft. Seinen Namen vergesse ich nie und ich sehe ihn noch vor mir: „Wenn wir die Erwerbstätigkeit der Frauen, im Osten zurückdrängen können auf das Normalmaß“ - und das „Normalmaß“ war das im Westen, es war 1991 bei 54,3 Prozent – „dann wird die Arbeitslosigkeit“ - ich sage Erwerbslosigkeit – „kein so großes Problem sein“. 1988 waren noch 91 % der „Ostfrauen“ erwerbstätig, 1991 78 %). Da habe ich gedacht, das kannst du jetzt nicht auf dir sitzen lassen. Es war eine Riesenveranstaltung und ich habe mich mühsam zum Mikrofon durchgekämpft und habe gesagt: „Ja, was ist denn, wenn die Frauen das nicht mitmachen?“ Und der Herr Zeller ging gar nicht groß darauf ein, er sagte nur: „Dann werden wir uns Maßnahmen einfallen lassen.“ Aha. Und ich fragte, welche Maßnahmen? Da war aber schon der nächste Redner da. Eine Gewerkschaftskollegin aus einer anderen Stadt wollte auch nochmal nach den Maßnahmen fragen. Aber da kam nichts mehr. Und als dann der „Erziehungsurlaub“ – so hieß er damals - verlängert wurde, wusste ich, dass ist eine der Maßnahmen um Frauen in den Haushalt zurück zu drängen. Und dann kamen die ganzen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das Allerärgerlichste war, dass man den Frauen ihre „Erwerbsneigung“ ausreden wollte. Keiner sprach bei den Männern von „Erwerbsneigung“. Und keiner fragte Männer: „Würden Sie denn zu Hause bleiben, wenn Ihre Frau genug verdienen würde?“ Es gab aber viele Studien, wo genau diese Frage an Frauen gestellt wurde: „Würden Sie denn zu Hause bleiben, wenn ihr Mann genug verdient?“ oder so. Und da waren immer nur 1,2 – 3 Prozent der Ostfrauen, egal, wer den Auftrag gegeben hat, die gesagt haben, „ja dann würde ich zu Hause bleiben“. Ich war damals wirklich mittendrin in der Diskussion und habe – wie zu ihren Zeiten bereits Louise Otto mich für das Recht der Frauen auf eigenständige Existenzsicherung eingesetzt. Und ich habe die „Ostfrauen“ bewundert, dass sie es geschafft haben, dass das Hausfrauenmodell sich nicht durchgesetzt hat. Jetzt bräuchte man es nicht mehr, denn jetzt werden die Frauen wegen des Fachkräftemangels wieder überall gesucht. Aber zu Wendezeiten versuchte man besonders jungen Frauen das Hausfrauenmodell schmackhaft zu machen. Sie sollten froh sein, nicht mehr doppelt belastet zu sein. Gleichzeitig wurden Kindertagesstätten und Kindergärten heruntergefahren oder geschlossen.

 

I: Die Kritik an der hohen Frauenarbeitslosigkeit und an dem Umgang damit aus der männerdominierten Politik war ja auch einer der Gründe für den Frauenstreik 1994, wozu du schon viel gesagt hast, auch öffentlich. Deswegen würde ich eigentlich gern nur noch mal fragen, ob du dich in Bezug auf die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft in Leipzig an diesen Frauenstreik beziehungsweise da an irgendetwas erinnerst. Gab es da irgendwie im Vorhinein was oder an dem Tag oder so?

 

B: Also ich glaube, dass in der Dokumentation, die über den Frauenstreik von 1994 erstellt wurde, einiges über Aktionen in Leipzig berichtet wurde. Allerdings nicht über die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Ich habe erst durch euch erfahren, dass die Gesellschaft auch eigene Aktionen gestartet hatte. Dass in Leipzig Aktionen waren, das wusste ich. Wir hatten auch mit einem Leipziger Vernetzungszentrum Kontakt. Die Vernetzungszentren gab es bundesweit. Ich gehörte zum selbsternannten bundesweiten Köln-Bonner-Streikkomitee. Wir hatten mehrere bundesweite Treffen in Kassel. Intensiven Kontakt hatten wir mit dem Unabhängigen Frauenverband. Wir waren damals wahnsinnig beschäftigt. Schließlich waren wir alle voll berufstätig und machten die Zeitschrift „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ ehrenamtlich; und manches andere auch. Das war schon sehr aufwendig. Vielleicht hat Johanna davon erzählt? Sicher war es für mich selbstverständlich, dass Johanna am Streik beteiligt war. Dass die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft sich auch beteiligt hat, finde ich schon toll.

 

I: Gibt es irgendwelche Aktionen von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft aus dieser Zeit, wo sich noch einmal anders auch in Tagespolitik eingemischt wurde, an die du dich erinnerst?

 

B: Ich hatte schon das Gefühl, dass es eine politische Gesellschaft ist. Da war zum Beispiel die Sache mit dem Goldschmidt-Haus. Es gab verschiedene Aktionen, wo sich auch die Gesellschaft zumindest dazu geäußert oder auch eingemischt hat. Aber so im Einzelnen weiß ich das nicht, denn es wurde ja immer auch von Leipzig aus organisiert. Und ich habe dann höchstens mal eine Unterschrift geleistet.

 

I: Wie hast du die Gesellschaft so erlebt in diesem Kampf um das Henriette-Goldschmidt-Haus? (B: Das habe ich nur gelesen.) Das heißt, als es dann abgerissen wurde – da wäre jetzt meine Frage, ob das auch den Verein irgendwie verändert hat?

 

B: Das weiß ich nicht. Da weiß ich zu wenig davon.

 

I: Es wird manchmal so erzählt, dass Leipzig schon was Besonderes hatte mit der Gleichstellungsbeauftragten schon in 1990ern. Und mich würde, auch wieder nur als Ferndiagnose, aber doch noch mal deine Einschätzung interessieren, wie du das so erlebt hat, wie sozusagen die Stadt, vielleicht als politischer Akteur, da aufgetreten ist, zu der Zeit?

 

B: Ja, also über die Stadt kann ich jetzt nicht so viel sagen. Ich erinnere mich daran, dass ich bei einer Projekte-Vorstellung von Leipziger Frauenprojekten war. Es ist schon lange her. Was für mich auch interessant war, schon vor der Gründung der Gesellschaft, war das Frauenarchiv MONAliesA. Habt ihr da Kontakt? (I: Bibliothek und Archiv.) Genau. Da war ich eingeladen. Und das fiel mir neulich auch wieder ein: Da habe ich das Buch, das Johanna als letztes für den Verlag für die Frau lektoriert hat bekommen, über den Demokratischen Frauenbund, DFB, das blaue Buch. Dieses Buch kam nicht mehr in die Buchhandlungen. MONAliesA kannte ich schon länger als Johanna. Was sich sonst tat in Leipzig, darüber weiß ich auch nicht viel. Ich kannte eben die Frauenforschung an der Uni, die sich ja auch erst nach der Wende etabliert hat. Ich weiß nicht, wie es vorher war. Da wird Ilse Nagelschmidt sicher mehr dazu wissen. Eine ganz, ganz wichtige Person war Genka Lapön, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Leipzig, auch für die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Sie hat sie immer gefördert. Sie hatte eine, wie ich beobachtet habe, ganz tolle Beziehung zu den Frauen. Ja, auch ich habe mich immer gefreut, wenn ich sie da getroffen habe. Und ich glaube sie sich auch. Das war schon ein großes Glück, dass es so eine engagierte Frauenbeauftragte gab, wahrscheinlich auch für die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, die ja auch mal Geld brauchte und die auch mal von der Stadt etwas bekommen konnte. Und Genka ist ja jetzt noch da. Das ist sehr schön.

 

I: Wie hast du aus der Ferne die Eröffnung des Louise-Otto-Peters-Archiv erlebt? Das ist 1997 eröffnet worden, offiziell, und erinnerst du dich da noch dran?

 

B: Da war ich überhaupt gar nicht dabei. Ich fand es toll, dass es noch ein weiteres Frauenarchiv gab. Aber ich glaube, es war auch erst schwierig, mit dem Kasseler-Archiv zusammenzuarbeiten. Da kann ich mich jedenfalls erinnern. Aber heute gibt es viele Verbindungen, wie ich mitbekommen habe.

 

I: Mal eine ganz andere Frage: (lachen) (B: Da lacht sie.) Wir wissen von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, dass die Ende der 1990er, Anfang der 2000er einen Computer bekommen hat und ins Internet gegangen ist. Und mich würde deine Einschätzung als Historikerin interessieren, ob dieses Ganze mit einem Computer arbeiten und dann auch online arbeiten zu können, die historische Forschungsarbeit verändert hat? Und wenn ja, wie?

 

B: Ja, unbedingt hat es die historische Arbeit verändert. Ich habe ja noch mit Stapeln von Büchern, die ich aus der Bibliothek geholt und gelesen habe, geforscht. Ihr kennt das ja vielleicht auch noch ein bisschen? Obwohl, es soll ja heute junge Historikerinnen geben, die nur noch im Internet arbeiten. Das ist vielleicht auch okay. Gut, aber das Internet hat die Arbeit total verändert. Früher hat man ZeitzeugInnen-Interviews gemacht. Man hat Stapel von Büchern durchgelesen und hat natürlich in den Archiven gearbeitet. Ich liebe heute noch das alte Papier, die Originaldokumente und die vergilbten Zeitungen und Zeitschriften. Das hat die Arbeit schon verändert, dass ganz vieles im Internet zu finden ist. Es erleichtert aber auch die Arbeit, denn man muss nicht alles selbst suchen. Das ist eben der Fortschritt.

 

I: Aber hat das so Chancen eröffnet?

 

B: Chancen eröffnet auch insofern, dass man ein breiteres Publikum erreicht. Auf jeden Fall. Ich war immer auch Aktivistin. Ich wollte immer auch, dass Wissenschaft eine breitere Basis erreicht, nicht nur andere WissenschaftlerInnen. Deshalb auch der Kalender, auf den ich jetzt wirklich im Laufe der Jahre selbst stolz bin, denn er stellt „Geschichte für alle“ bereit. Insofern ist das Internet einfach auch eine Möglichkeit, viele Menschen zu erreichen. Ich fände es schade, wenn keine Bücher und Zeitschriften mehr gelesen werden oder die alten Dokumente nicht mehr benutzt werden. Viele sind ja jetzt im Internet. Ich habe vor kurzem noch mal geforscht zur Entstehung der sozialistischen Frauen-Internationale. Als ich da das erste Heftchen geschrieben habe, musste ich die Texte noch aus dem Archiv heraussuchen. Jetzt steht das alles im Internet. Es ist natürlich leichter. Ich denke auch, man muss das Digitale Deutsche Frauenarchiv nutzen. Ich glaube, die haben schon den richtigen Ansatz, jedenfalls arbeite ich gerne damit und ich habe ja auch einiges selbst dazu beigetragen, wenn ich dazu gefragt worden bin. Das ist einfach eine Möglichkeit, auch für Universitäten, für DozentInnen und vielleicht auch schon für Gymnasien, einem breiten Publikum nahezubringen, wie wichtig Geschichte ist. Ich meine, das brauche ich euch nicht zu erzählen. Aber jetzt, gerade angesichts der aktuellen Entwicklung, wundere ich mich oft, warum niemand aus der Geschichte lernt, warum es immer wieder Kriege gibt? Man könnte jetzt auch fragen, was würde Louise Otto dazu sagen?

 

I: Noch einmal eine ganz andere Frage: (lacht kurz) Heutzutage ist ja das Thema, die eigenen Eltern pflegen zu müssen, ein präsentes Thema. Wie war das damals in den 1990ern? Hat das im Rahmen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft irgendeine Rolle gespielt, nach deiner Wahrnehmung?

 

B: Die Eltern pflegen? Da gibt es ja verschiedene Facetten, meinst Du, dass die Frauen behindert waren in ihrer politischen Vereinsarbeit? Oder was meinst du?

 

I: Hat das überhaupt irgendeine Rolle gespielt? Wurde das thematisiert, was an Sorgearbeit zu leisten ist? (sprechen gleichzeitig)

 

B: Ach so, weil jetzt die große Care-Debatte geführt wird. Die Debatte ist nicht neu, aber die Begriffe ändern sich. Ich habe zum Beispiel eine der ersten Studien zur Vereinbarkeit von Kindern und Beruf gemacht. Die ist 1991 kurz nach der Wende erschienen. Ich habe dann, als die noch ungedruckte Berichtsfassung vorlag, eine Veranstaltung mit Frauen aus Ost- und Westdeutschland organisiert. um mit ihnen die Ergebnisse der Studie zu diskutieren. Die Interviews haben im Westen stattgefunden. Damals wurde ja bereits diskutiert, dass Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern anders verteilt werden müsste. Nun ging es um die Frage, ob das in der DDR bereits besser gelungen ist. Die Diskussion verlief kontrovers: „Nein!“, sagten die einen, „im Osten, also in der DDR, haben auch die Frauen die Sorgearbeiten hauptsächlich gemacht, obwohl sie voll berufstätig waren“. „Ja, aber die Männer konnten sich dort nicht ganz raushalten, weil die Frauen ja voll berufstätig waren,“ sagten die anderen. Diese Diskussion ist alt und wurde auch schon von Louise Otto-Peters beschrieben. Ebenso wie von Clara Zetkin, die ja eine Generation jünger ist. Also, dieses Thema ist jedenfalls never ending. Und es wird sich so lange nicht ändern, wie wir nach dem kapitalistischen Profitsystem wirtschaften, weil die Familienpflege die billigste Pflegeeinrichtung ist. Das war im Westen immer ein großes Dilemma. Ca. 90 Prozent der alten Menschen wurden in der Familie gepflegt. Ich weiß nicht, ob die Altenpflege in der DDR besser gelöst war. In Bezug auf die Versorgung der Kinder, weiß man, dass es durch mehr Einrichtungen bessere Lösungen gab. In der Zwischenzeit hat sich in der Gesamt-BRD die Meinung durchgesetzt, dass es den Kindern besser geht, wenn sie im Kollektiv erzogen werden. Für die alten Menschen fehlen Konzepte und bezahlbare Einrichtungen.

 

I: Aber ich muss noch einmal fragen, war das innerhalb von einer Louise-Otto-Peters-Gesellschaft ein Thema? (B: Das weiß ich nicht.) Weißt du nicht?

 

B: Nein, auch nicht bei den Tagungen. Es waren immer historische Themen, soviel ich weiß. Obwohl man aus dem Buch „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ einiges dazu erfahren kann.

 

I: Wir sind tatsächlich schon am Ende. (B: Ja?) Gibt es irgendetwas, wonach ich nicht gefragt habe, was dir aber wichtig wäre, noch zu erzählen?

 

B: Ich möchte auf jeden Fall die Verbindung mit der Louise-Otto-Peters Gesellschaft aufrechterhalten. Es ist mir ganz wichtig. Und ich finde das erfreulich, dass der Generationswechsel, von der Gründergeneration zu eurer Generation offenbar sehr gut gelungen ist. Die von Johanna Ludwig und ihren MitstreiterInnen begonnene Arbeit muss auf jeden Fall fortgesetzt werden. Ihr habt vieles aufgenommen und Neues auf den Weg gebracht. Auch die Dreißigjahrfeier hat mir sehr gut gefallen. Und ich hoffe, dass wir weiter durch die Gesellschaft einen Beitrag leisten können, dass Frauenpolitik, Frauengeschichte sichtbar bleibt. Und dass wir dazu beitragen, dass die Menschen aus der Geschichte lernen. Ich lade euch auch ein, am Kalender weiter mitzuarbeiten. Gerlinde hat ja für den nächsten einen Beitrag geschrieben.

 

I: Danke.

 

Ende