Ein erstaunliches Netzwerk. Zum Louise-Otto-Peters-Jahrbuch II der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V.

von Dr. Christel Hartinger (Leipzig)

Seit 1993 in Leipzig die Louise-Otto-Peters-Gesellschaft gegründet wurde, hat sich das im öffentlichen Raum anhaltende Erinnern an Louise Otto-Peters, die von den 1840er Jahren an bis zu ihrem Tode 1895 vor allem in Sachsen in enormer Vielfältigkeit tätig war, weiter intensiviert. Der sich in der Gesellschaft bildende Kreis von Historikerinnen, Bibliotheka-rinnen Literaturfreundinnen und anderen Mitstreiterinnen verharrte nicht auf den Spuren von Louise Otto-Peters, die noch offensichtlich in unsere Tage reichten, sondern begann sofort, diese Spuren durch mannigfache biographische, werk- und zeitgeschichtliche Recherchen sehr fruchtbar zu erweitern und zu vertiefen. Rundbriefe der Gesellschaft, Konferenzen, Ausstellungen, literarische Programme, Abendunter­haltungen, Gesprächskreise, Korrespondenzen machten ihre Funde publik, werteten sie wissenschaftlich aus. Diese Spurensicherung kulminiert jährlich im November am Louise-Otto-Peters-Tag im Heinrich-Budde-Klubhaus in Leipzig-Gohlis (einem dafür sehr relevanten Stadtteil) und in der auch daraus folgenden Reihe „LOUISEum. Samm­lungen und Veröffentlichungen der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft“.

Eine weitere wichtige Steigerung ihres Wirkens konnte die Gesellschaft dadurch er­reichen, dass 2004 das Jahrbuch I mit „Forschungen zur Schriftstellerin, Journalistin, Publizistin und Frauenpolitikerin Louise Otto-Peters“ im Sax Verlag Beucha erschien. Nun wird die weitere Forschungsarbeit im Jahrbuch II präsentiert. Profil und Gliederung, im Jahrbuch I verständlicherweise vor allem noch auf Louise Otto-Peters bezogen, dehnten den untersuchten Lebens- und Wirkungsradius, der durch die Recherchen und Analysen erstaunenswerter Weise immer wieder größer gezogen werden musste, auf vier Schwerpunkte aus.

Ein erster Schwerpunkt (mit den Verfasserinnen Susanne Schötz, Irina Hundt, Elisabeth Dickmann, Ursula Herrmann, Johanna Ludwig, Teruko Yamada) gilt der frauen­politischen Arbeit Louise Otto-Peters’, dem von ihr Mitte der 1860er Jahre initiierten „Allgemeinen deutschen Frauenverein“ (AdF) und dem davon ausgehenden über­regionalen „Netzwerk“ von persönlichen und inhaltlich-positionellen Verbindungen sowie Beziehungen zu „anderen Emanzipations­bewegungen“ jener Jahrzehnte (u.a. zur Arbeiterbewegung).

Zum Zweiten beleuchten einige Darstellungen (von den Verfasserinnen Susanne Schötz, Marion Freund, Fayçal Hamouda, Johanna Ludwig) uns heute noch meist unbekannte Frauen, denen Louise Otto-Peters in vorausgegangener Zeit, aber schon in frauenemanzipatorischem Interesse, wesentlich verbunden war. Solche Weiterungen, wie sie in diesen beiden Textgruppen einzusehen sind, zu historischen Persönlich­keiten, damals funktionierenden Einrichtungen und verbreiteten Kommunikations-formen (insbesondere im primär bedeutsamen Spektrum publizistischer Organe) sind ein sehr anerkennenswertes und ertragreiches Konzept der Louise Otto-Peters-For­schung und ein von Beginn an beharrlich verfolgtes und nationalgeschichtlich nicht begrenztes methodologisches Prinzip. Da erfolgen erstaunliche Aussagen zu ver­wandten internationalen Prozessen, so etwa zur italienischen Frauenbewegung (S. 38); da profitiert die Leserschaft von einer Sicht, die diese Prozesse wesentlich in die europäische Demokratiegeschichte integriert, eine Sicht, die auch in feministischer Forschung bisher kaum eingenommen wurde (u.a. S.32).

In einem dritten Schwerpunkt untersuchen die Beiträge (mit den Verfasserinnen Johanna Ludwig, Sonja Voigt, Susanne Schötz) „Louise als Künstlerin, Kunstkritikerin und Geistesschaffende“, die sich eben auch mit den „Produktionsbedingungen“ auseinandersetzt, und sie vertiefen damit die schon im Jahrbuch I publizierten Feststellungen. Und auch dies ist – trotz weltweiter feministisch-wissenschaftlicher Dokumentierung von Frauenkunst und Frauenkultur in aller Menschheitsgeschichte – immer noch im gängigen, im offiziell angebotenen Bildungs- und Vorstellungskanon der Kunstgeschichten eine Folge von „Leerstellen“, tabuisiert. Zu den Schriftstellerinnen Annette von Droste- Hülshoff oder Marie Ebner-Eschenbach gesellen sich für das 19. Jahrhundert selten andere Frauennamen; in der Geschichte der Kunsttheorie sind sie überhaupt nicht anzutreffen.

Ebenfalls an Jahrbuch I anknüpfend, vermittelt ein vierter Schwerpunkt (mit den Verfasserinnen Sonja Voigt, Hannelore Rothenburg, Esther Ludwig) Louise Otto-Peters’ vielfaches Tätigwerden, aber auch literarische Arbeiten von August Peters im erzge­birgischen Raum um Oederan und Freiberg. Nur wenige der für mich besonders interessanten wie nachhaltigen Lektüreaspekte lässt der schmale Rezensionsrahmen hier erwähnen: Leben wir in Städten wie Leipzig oder Dresden, dann verwandeln die Jahrbuchauskünfte zu den damaligen, zahllosen persönlich-familiären, den städtisch-kulturellen oder den staatlich-politischen Konstellationen (so etwa zur allgegenwärtigen Zensur oder zur ganz pragmatischen Suche nach einzurichtender, bezahlbarer Erwerbs­arbeit für Mädchen und Frauen) unser allgemein-theoretisch davon Gewusstes in wirklich historisch-konkrete, sozusagen individualisierte Anschaulichkeit.

Einiges mehr als üblich zur Zeit über Robert Blum durch das Gedenkjahr 2007 hörend, war ich neugierig, ob und in welcher Weise Louise Otto-Peters und Robert Blum sich begegnet waren. Voilà, das Jahrbuch informiert mich in verschiedenen Zusammen­hängen darüber: „Obgleich sie mit Robert Blum schon seit 1843 in schriftlichem Kontakt stand, lernte Louise ihn und seine Familie erst 1847 während eines erneuten ver­längerten Aufenthaltes an der Pleiße persönlich kennen.(...) Als das von Blum initiierte Johannisfest im Leipziger Rosental vorbereitet wurde, beteiligte sie sich mit anderen Gohliser Frauen daran. Und sie stand schließlich neben dem Deutschkatholiken auf der Tribüne, als dieser seine von den Besuchern begeistert aufgenommene Rede mit dem letzten Vers Louises ‚Gruß am Johannistag. Schillerfest in Gohlis bei Leipzig 1847’ beendete.“ (S.165)

In solchen Berichten steckt ein m.E. besonders in unserer gegenwärtigen links-emanzipatorischen Frauenbewegung diskutiertes, noch produktiver zu handhabendes Problem: „Louise Otto-Peters und ihre Mitstreiterinnen wie ihre Mitstreiter gingen von der Verschiedenheit von Männern und Frauen aus. Sie hielten diese aber nicht für ein Hindernis oder einen Grund zur Unterdrückung eines Geschlechts durch das andere.(...) Wir begegnen hier dem Paradoxon der Gleichzeitigkeit von Differenz und Gleichheit, dem Oszillieren zwischen Differenz und Gleichheit (...) jeder Mensch (besäße) spezifische Geschlechts- und allgemein menschliche Eigenschaften.“ (S.13) Unter diesem Aspekt vermisste ich gegenüber dem Jahrbuch I die dort anzutreffenden „männlichen“ Beiträge, die ihre Ansichten zu „Louise Ottos Verständnis von (Männer- und) Frauenrollen (...) von 1848/49“, zu K.C. F. Krause als einer „ihrer philosophischen Quellen“  und zu „Louise Otto-Peters’ Kommunikationsstrategie“ in die Debatte gebracht haben. Sowohl um die auch in der Frauenbewegung hemmenden Rollenvorurteile zu überwinden, als auch zur notwendig wechselseitigen Ver- und Bearbeitung der spezifischen Geschlechtererfahrungen wäre es sehr wünschenswert, wenn in der dritten Ausgabe wiederum auch Louise-Otto-Peters-Forscher zu hören, zu lesen wären. Durch die im Jahrbuch II ausgebreiteten weiteren Untersuchungsräume – und das ist eben nur wahrnehmbar in solch einem Kompendium – erfolgt gleichsam eine Rückstrahlung auf die Wirkungsqualität wie Wirkungsquantität von Louise Otto-Peters. Eine Rückstrahlung damit auch auf unsere Vorstellung vom Immensen ihrer Persönlich­keitspotenz und ihren Fähigkeiten, von ihrer Arbeitsleistung und ihrem mentalen Ein­satz, von ihrer differenzierten wie differenzierenden Kommunikativität und Beziehungs­methodik. Auf allen Arbeits- und Kontaktebenen des AdF-Netzwerkes bewegte über die vielen Jahrzehnte hindurch vor allem ihr unmittelbarer oder indirekter Anstoß die „gemeinsame Sache“. Nicht nur mit vielen, vielen Frauen, über ganz Deutschland verstreut, sondern auch mit vielen Ehepaaren aus dem sogenannten Bildungs­bürgertum verbanden sie künstlerische oder politische Interessen, Korrespondenz, Zusammenarbeit und/oder Freundschaft. Berühmte Namen wie Robert Blum, Robert Schumann oder August Bebel gehören dazu. Namen wie Johanna Goldschmidt, Eugenie Blum oder Marianne Menzzer, aber auch Franz Brendel und Eduard Vehse  können wir nun kennen lernen.