08. März 2021 | 150 Jahre Protest gegen die „Unrechtsparagraphen“
Text: Laura Peter
Der „Abtreibungsparagraph“ 218 erhielt mit Gründung des deutschen Kaiserreichs vor 150 Jahren Einzug in das Strafgesetzbuch. Von Anfang an gab es Protest gegen ihn.
Die Gründung des „Bunds für Mutterschutz und Sexualreform“ 1905 durch Helene Stöcker markiert dabei den Beginn einer breiten, öffentlich geführten Abtreibungsdebatte. Waren es zunächst einzelne Stimmen von Frauen(organisationen), avancierte der Kampf um das Recht auf freie Selbstbestimmung mit der erstarkenden Frauen- und Sexualreformbewegung bis 1933 zu einer außerparlamentarischen Massenbewegung gegen den §218.
In der sogenannten „Gebärstreikdebatte“ von 1913 trat als einzige Sozialdemokratin Alma Wartenberg offen und uneingeschränkt gegen den Paragraphen 218 ein. In der Weimarer Republik bekam der Protest gegen den „Abtreibungsparagraphen“ zunehmend prominente Unterstützung u.a. 1924 von Käthe Kollwitz. Beide verwiesen, zeitgemäß, vor allem auf die hohe Belastung für Frauen*, im Besonderen für Arbeiterinnen, durch ungewollte Schwangerschaften: Viele Kinder bedeute(te)n häufig schlechtere Gesundheit, Prekarisierung und Abhängigkeit.
Nach einer leichten Reform des §218 in der Weimarer Republik verschärften die Nationalsozialisten 1933 das Strafmaß direkt wieder. Zudem erließen sie den §219a, der ebenfalls bis heute besteht.
BRD und DDR knüpften nach 1949 nicht an die Bestrebungen der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen der Weimarer Republik an. Ein Schwangerschaftsabbruch war nur in sehr eng gefassten Ausnahmefällen (z.B. starke erbliche Belastung) straffrei möglich.
In der BRD nahmen die Proteste gegen die Paragraphen, insbesondere nach 1968 und mit dem Entstehen der „Neuen Frauenbewegung“, zu. Für Aufsehen sorgte u.a. die Kampagne „Wir haben abgetrieben“ im Stern vom 6. Juni 1971. Abtreibungen blieben aber weiterhin strafbar.
Die DDR verabschiedete am 9. März 1972 ein Gesetz, nach dem Schwangere in den ersten 12 Wochen legal und frei über einen Abbruch entscheiden durften: ein weltweites Novum. Statt Kriminalisierung von Abtreibungen versuchte die DDR durch sozialpolitische Maßnahmen wie das „Babyjahr“, eine reduzierte Wochenarbeitszeit für Mütter oder Kindergartenplätze Anreize zu schaffen, sich für das Kind entscheiden.
Diese Fristenreglung wurde ab 1990 im Zuge der Vereinigung von BRD und DDR durch die in der BRD geltende Indikations-Regelung wieder abgelöst, was für Bürger:innen aus Ostdeutschland einen Rückschritt in ihrem Recht auf Selbstbestimmung darstellte. Bis heute gelten die Paragraphen 218 und 219a in modifizierter Form. Trotz Strafandrohungen hat sich historisch aber gezeigt: Es wurde immer abgetrieben. Die Bedingungen dafür waren aber schlecht und die Belastung, psychisch wie physisch, unnötig hoch. Bis heute wird ein Schwangerschaftsabbruch möglichst schwer gemacht, sowie eine sachliche Information und Auseinandersetzung erschwert. Stattdessen müssen ungewollt Schwangere mehrere Stellen ablaufen, an Beratungen teilnehmen, Anträge stellen (Finanzierung) und teils weite Strecken fahren, weil der Eingriff nur von wenigen Ärzt:innen vorgenommen wird.
Zum Weiter-/Nachlesen:
- https://www.mdr.de/zeitreise/ddr/schwangerschaftsabbruch-ddr100.html
- https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/unsere-baeuche-gehoeren-uns-schon-lange-wirklich-selbstbestimmung-und-abtreibung-der-ddr
- https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/schwangerschaftsabbruch-in-ddr-und-brd
- https://jungle.world/artikel/2021/04/der-lange-kampf-gegen-den-paragraphen-218
- https://www.bpb.de/apuz/290795/kurze-geschichte-des-paragrafen-218-strafgesetzbuch
- https://taz.de/Gebaerstreikdebatte-1913/!5063327/
- https://www.bpb.de/apuz/290797/reproduktive-gesundheit-und-rechte
- http://frauenkampftagthueringen.blogsport.de/2018/04/26/reproduktive-rechte-sind-menschenrechte-weg-mit-218-und-219-her-mit-der-selbstbestimmung/
- https://safeabortionday.noblogs.org
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